Im Norden, Tag 4: Fahrt nach Axum

Heute: ein reiner Reisetag. 250 Kilometer bis Axum, wir brachen um sechs Uhr auf. „Wie lange werden wir brauchen?“ fragte ich. „Acht Stunden“, sagte Netsanet. Ich wollte es nicht glauben, aber sie sollte Recht behalten. Acht Stunden über steinige, staubige, holprige Schott-ott-otterpisten, Serpentinen rauf, Serpentinen runter. Man glaubt gar nicht, wie erschöpfend es ist, acht Stunden lang bis auf die Knochen durchgeschüttelt zu werden. In Axum haben wir drei uns schnell und maulfaul voneinander verabschiedet, jeder wollte nur noch ins Bett, und das nachmittags um zwei.

Zum Sundowner auf die Terrasse des Hotels Yeha (das hinsichtlich Schönheit & Elektrotechnik Mr. Martin’s Cozy Place in nichts nachsteht, aber dessen Badvorleger, links – offensichtlich eine Montagematte aus einer Reifenfabrik – mich sofort in beste, kichernde Laune versetzte): Ich werde zu einer lustigen Truppe Neuseeländer und Amerikaner herübergewinkt, die sich in Kairo kennengelernt und für einen Teil des Weges durch Afrika zusammengetan haben. Viele Biere später gesellt sich noch ein älterer Psychiater aus San Diego dazu, der sofort losschäumt, er sei es leid, hierzulande als walking wallet, als wandelnde Geldbörse betrachtet zu werden. Er wolle als Mensch, nicht als reicher Mensch behandelt werden, und wer ihn nicht respektiere, den respektiere er auch nicht, da habe er ja zum Hund seiner Mutter ein besseres Verhältnis als zu den ewigen Bettlern und Betrügern in diesem Land. Betretenes Schweigen, ich eröffnete sofort die Debatte, es wurde laut, es wurde hässlich, die anderen verabschiedeten sich lautlos, während wir uns weiter behakten. Ob er wirklich Psychiater sei, fragte ich ihn am Ende erschöpft, denn ich hätte selten jemanden mit einem derart verächtlichen Menschenbild getroffen, ob das eine Berufskrankheit sei, die Asbestlunge seines Standes. Und so weiter. Wie gesagt, hässlich. Wir kamen nicht recht weiter.

P.S. Einen Tag später treffe ich ihn wieder, frage betont freundlich, ob er einen schönen Tag gehabt habe. Und er, strahlend: den besten seit langem. Er sei in ein Privathaus eingeladen worden, zu einer Kaffeezeremonie. Diese netten Leute! Diese Herzlichkeit! Und ich muss mir schwer auf die Zunge beißen. Man muss einem reichen Stinkstiefel, der konservativ geschätzt das 2000fache eines durchschnittlichen Äthiopiers verdient, nur auf einen Kaffee einladen, und er findet die Welt in Ordnung. Vor allem findet er in Ordnung, dass man ihn einlädt und nicht etwa umgekehrt. Aber ich wollte nicht schon wieder die nächste Debatte vom Zaun brechen.

Diese zwei war ich noch schuldig: meine Reisebegleiter Netsanet und Dereje. Netsanet ist 24 und arbeitet seit ihrem Uni-Abschluss vor zwei Jahren als Reiseorganisatorin und Führerin. Ursprünglich wollte sie Ingenieurswissenschaften studieren, doch dort war alles voll, also wurde sie zwangsweise zu Tourismusmanagement verdonnert; freie Studienwahl gibt es in Äthiopien nicht. Wir reden viel über Lebensplanung. Sie ist die jüngste von sieben Geschwistern und will Heirat und Kinder so weit wie möglich hinauszögern: „Meine Schwestern waren mal solche tollen Frauen – aber wie langweilig sind sie geworden, seit sie Mütter sind.“ Dereje ist 32 und arbeitet seit neun Jahren als Fahrer. „Ich liebe meinen Job. Er ist so entspannt“, sagt er – und das, nachdem er einen Höllentag wie den heutigen hinter sich gebracht hat. Zwischendurch telefoniert er mit seiner eineinhalbjährigen Tochter („Hello sweetie!“).

Das ist kein Straßenbau, das ist die Straße. Genau so sieht die Piste über weite Strecken aus, an der einen oder anderen Stelle wird immer mal wieder gebaggert und planiert. Der Verkehr staut sich derweil, denn es gibt kein Entkommen – rechts der Berghang, links der Abgrund.

19 Antworten to “Im Norden, Tag 4: Fahrt nach Axum”

  1. claus Says:

    @ claudia L. / @ renata / @ kristiane

    (zitat von @claudia L.): „..die hier seit 323 tagen mitreisenden.. waren vom (mona lisa) ML-beitrag heute enttaeuscht..“ (zitat-ende)

    stimmt!

    die ML-redaktion verpasste hier leider eine fantastische gelegenheit.. aus dem doch sehr ungewoehnlichen projekt von frau M.W. / **..eine frau ALLEIN ! 12 monate um die ganze erde..** / mehr.. viel mehr zu machen !

    schade! sehr schade.. nur „bummelige“ viereinhalb minuten sendezeit.. ausgerechnet auch noch zwischen ML- atypischen themen.. wie ‚doenermorde’ und ‚alternative begraebnisse in der schweiz’..

    zumal jede ML-ausgabe immerhin mit einer quote von zwischen 1,3 und 1,8 millionen zuschauerinnen aufwartet.. (trotz / oder wegen.. sportschau im Ersten..) und ich dachte noch.. das gestern bei ML/ZDF vorab eingestellte *mini-video* sei lediglich ein trailer…

    aber so eine „alte“ eingeschworene ML-redaktions-crew, bestehend zur zeit aus zwanzig frauen und nur einem mann / so eine sendung aus dem oeffentlich- rechtlichen gebuehrenfuellhorn des ZDF, welche seit 23 jahren.. (damals gab’s noch s.g. „volksparteien“!) ueberwiegend die frauenfragen der 80er und 90er beantwortete.. kann halt offensichtlich nicht so schnell vom ‚heizdecken-halali’ dieses uralt-tv-formats.. auf zeitgemaessere, modernere top-frauen-themen „umschalten“..

    @ m.winnemuth: danke danke fuer das super-foto von NETSENET und DEREJE !! viele gruesse !!

  2. Franka Says:

    Schön Ihre Reisegefährten kennenzulernen.

    Der *reizende* Herr hätte mich auch aus der Reserve gelockt.

    Ich trink ein Bier (Zwickl) mit Ihnen und wünsch noch außerordentlich erfreuliche Einblicke in Kultur, Geschichte und Alltag.
    (Ne müssen nicht erfreulich und außerordentlich sein – *nur* authentisch.)

    Liebe Grüße aus dem vernebelten Franken!
    Frankla

  3. jasmin Says:

    hallo liebe meike,

    habe gerade den bericht über sie in der sendung ml gesehen und bin über folgende sache gestolpert: ihr koffer wiegt jetzt 3 kilo mehr, weil sie sich im laufe ihrer reise einige dinge dazugekauft haben. hauptsächlich haushaltsgegenstände, wie sie meinten. haben sie wirklich nur diese “3 kilo” gekauft? oder haben sie auch schon sachen erstanden und diese z.b. direkt nach hamburg geschickt?
    ich glaube, ich hätte das bedürfniss, mir aus jedem land ein souvenir mitzubringen – eine kleine erinnerung, die einem vielleicht in etlichen jahren zufällig wieder in die hände fällt und die einen immer sofort an ein bestimmtes land, einen menschen, eine situation erinnert. geht es ihnen nicht so?

    ansonsten: danke danke für diesen zauberhaften blog und ihren mut!!!

  4. Marie Says:

    @claus Wir werden bestimmt im nächsten Jahr Frau Winnemuth in Talkshows und vielen Fernsehberichten sehen. Es gibt auch immer wieder monothematische Sendungen darüber, was aus Gewinnern von viel Geld so geworden ist, und da wird die Reise sicher auch ein Thema sein.

  5. Marie Says:

    @meike Finde ich toll, dass Sie mit Menschen, die man als pain in the ass bezeichnen kann, sich auseinandersetzen und diskutieren. Gerade das kann ich nicht, da gehe ich weg, das zieht mir zu viel Energie und gute Laune ab.

  6. Sophie Says:

    Hallo Meike, auch mich hat dieser Psychiater beim Lesen in Wallung gebracht bis folgende Erinnerung aus den tiefsten Tiefen an die Oberfläche trat. Es war 1988, ich hatte nach der Ausbildung das erste Jahr Geld verdient, wollte ans Meer und landete per Pauschalurlaub (ja mache ich heute auch nicht mehr aber ich war jung, unerfahren und hatte wenig Geld) in Jugoslawien und wurde dort auch als walking wallet behandelt und als Kapitalistin tituliert. Ich verstand einerseits die Reaktion der Jugoslawen, andererseits war ich 19 und hatte ein Jahr gespart um mich dann vom Hotelpersonal wie den letzten Dreck behandeln zu lassen. Ich verstehe die Reaktion des Mannes hätte aber mit meiner Lebenserfahrung jetzt genauso reagiert wie Sie. Um auch das Positive nicht vorzuenthalten: Es gab eine Ausnahme und das war der Nachtportier. Ich war allein im Urlaub und jeden Abend wenn ich heimkam fragte er mich, ob ich nicht einen netten Mann kennengelernt habe. Ich verneinte und dieser Mann – der sicher schon 70 war und Ähnlichkeit mit einem gemütlichen Bären hatte – nahm mich in den Arm und wünschte mir eine gute Nacht.

    Liebe Meike, vielen Dank für die tollen Berichte von der Piste und abseits der Piste und die tollen, tollen Fotos!

    Gute Nacht und fühlt Euch alle umarmt
    Sophie

  7. Renata Says:

    Hahaha!!!

    Wie muß die gesamte Reise und besonders auch wieder die letzten Tage anstrengend sein – dachte ich gerade. Und dann berichteten Sie, dass Sie auf eine Gruppe Neuseeländer und Amerikaner stoßen. Und auf einen Psychiater! Prima, dachte ich. Genau das was man nach so einer anstrengenden Reise braucht!

    Aber weit gefehlt!!! Stellte sich doch heraus, dass eben dieser Psychiater eine tüchtige “Seelenmassage” durch Frau Winnemuth brauchte und auch bekam ;-)

    Suuuuuupppper!!!!!

    Das Leben ist eben immer wieder a n d e r s!!!! Besonders im blauen Bus ;-)

    Schöne Grüße auch von mir an Netsunet und Dereje!

  8. Angi Says:

    Ich denke, wenn man als Europäer in ein Dritte-Welt-Land fährt, muss einem bewußt sein, dass das Bild dieser Menschen von uns verzerrt ist. Für sie sind wir alle reich, alle haben wir Autos, eine Wohnung, jeder hat einen Job, in dem er massenweise Geld verdient und wir werfen Essen in den Müll…Dieses Bild stammt wohl überwiegend aus dem Fernsehen, wo auch der Hartz4 Empfänger wie ein Glückspilz wirken muss im Vergleich zu den Lebensbedingungen in Afrika. Ich habe hier in München ein bisschen in das Umfeld von illegal hier lebenden Zigeunern, armen Rumänen oder Slowaken aus den dortigen Slums reingeschnuppert und auch für sie ist es hier unter schwierigsten Umständen so unendlich viel besser als zuhause. Also darf man es nicht als persönlichen Angriff sehen, wenn jemand, der zum eigenen Vergnügen reisen kann, als Brieftasche mit Beinen gesehen wird. Für mich allerdings ein Grund, dass ich mir solche Reisen nicht zutraue, ich wüßte nicht, ob ich mit dieser ständigen Konfrontation mit bitterster Armut umgehen könnte.

    Menschen wie dieser Psychiater sollten sich täglich vor Augen führen, wie gut es uns allen geht und auf welch verdammt hohen Niveau wir jammern! Dazu hat Meike ja auch schon einen wunderbaren Link verraten: Happy Rambles! Die fragen einmal am Tag per Mail nach dem, was einen dankbar gemacht hat. http://happyrambles.com/
    Wäre er ein Kind, würde ich ihm das Taschengeld für ein Jahr sperren und den Betrag spenden ;)

    Und nachdem ich mich gerade in einen Tunesier verliebt habe, der allerdings schon lange in Europa lebt, sind die Einblicke durch Meike grade besonders interessant!

  9. Claudia F. die andere Says:

    Auch bei der Vorstellung von Netsunet und Dereje frage ich mich, wie gestern
    bei einer afrikanischen Weltreisen Reportage, wie die Journalisten immer
    an die einheimischen Leute rankommen ?

    Durch Insiderkontakte, durch Monate lange Recherche ?

    Ich als normal Sterbliche würde doch niemals eine Netsunet und einen Dereje
    finden.

    Wo würde ich sie denn finden, wenn ich sie brauchen würde ?
    Und würden sie mich auch durch ihr Land begleiten ?

  10. Kristiane Says:

    Kurios, die Geschichte mit dem menschenverachtenden Psychiater. Muss ein echter Vollpfosten gewesen sein, der Typ.

  11. HollyGolightly Says:

    @claudia: das sind m.e. ganz normale fremdenführer/tour guides bzw. hier -wie meistens üblich- ein guide + ein fahrer. die können sie auch als normal sterbliche buchen. warum denn nicht? wir haben das auch schon öfter gemacht.

  12. jule Says:

    Vielleicht wollte er eigentlich Psychopath werden und musste notgedrungen – mangels passenden Studiengangs – ausweichen und wurde so Psychiater…klingt immerhin ähnlich ;-) .

  13. jule Says:

    Zur Reiseführerwahl: Wer nicht auf persönliche Empfehlungen zurückgreifen und gezielt jemanden kontaktieren kann, muss sich einfach ein bisschen aufs Glück verlassen bzw. auf den Zufall – und sich überraschen lassen, wer einem ggf. durch eine entsprechende Agentur zugewiesen wird.

    Ich fand im Lauf meiner Tansaniareise die Guides sehr unterschiedlich von ihrer Art her, aber alle gut und sympathisch, jeder setzte verschiedene Schwerpunkte bei seinen Touren.
    So sehr ich das Unterwegssein auf eigene Faust und nach eigener Nase schätze, manchmal ist das schwer möglich oder auch nicht erlaubt (zum Beispiel aufs Autofahren oder Wanderungen am Berg bezogen). Ich empfand die Begleitung und die Anwesenheit des Guides bzw. Fahrers als angenehmer, als ich vorher gedacht hätte. Eine einheimische Begleitung kann auch ein Türöffner sein, schon was die Kommunikation mit den Menschen angeht, wenn man nur einige Vokabeln der Landessprache gelernt hat.

    Meinen – im Nationalpark vorgeschriebenen – Bergführer hatte ich von Deutschland aus ohne deutsche Agentur übers Internet gefunden, direkt angemailt und mich dann auf mein Bauchgefühl verlassen. Er erwies sich als Glücksgriff und ich fühlte mich sehr gut aufgehoben – nicht unwichtig, wenn man (wie ich damals) solo wandern will.
    Für die Planung von Fernreisen gibt es auch gute Foren im Netz zum Austausch – neben den spezialisierten Reisebüros, je nachdem, wie viel und genau man denn im Voraus überhaupt planen oder selbst organisieren möchte. Vieles geht aber auch vor Ort und spontan.

    Aufbrechen, Dinge ausprobieren, wagemutig sein – oder: winnemutig? ;-)

  14. Kristiane Says:

    Winnemutig…ein neues deutsches Wort! Werde sofort Aufnahme in den Duden beantragen.

  15. Lisa Says:

    ja, nomen est omen:
    Die Ge-win-nerin Win- ne-Mut(h) hat Mut (aber ich bin sicher, für Meike, die Sprachgewandte ist das alles nicht neu.)

  16. Nane Says:

    Schöner Nagellack…schöne Sommerfüße…seufz…!

  17. nico Says:

    ich fühle mich nach dem ML bericht noch viel mehr dazugehörig :-D und meike, du warst mir so überhaupt nicht fremd… die stimme.. die art zu gehen…
    ich fand den bericht cool, wenn auch viel zu kurz

    ich freue mich total, dass äthiopien noch ein bißchen dauert.. es ist mein absolutes persönliches highlight…
    mir gefallen die berichte so gut…

    liebste grüße
    und ich habe mich gefreut die teekanne zu sehen im tv :-D :-D

  18. Heidi Says:

    Thanks for not blaming his idiocy on his passport.

  19. Dievommond Says:

    Deine beiden Reisebegleiter sehen sehr sympathisch aus!

    Und ich freue mich, dass Du Dich mit dem Psychiater “duelliert” hast. lieber Gruss!