Jom Kippur II/Sabbat

Nach Sonnenuntergang begann es erneut: Der Verkehr brandete über die Ben Yehuda, die Teller klapperten aus den Fenstern, das Leben ging weiter. Aber was für ein wunderbarer, leiser Tag es gewesen ist! Ich selbst habe mir ein komplettes, köstliches Garnichtstun verordnet, bestehend aus Rumliegen, Hörbücher hören, ein bisschen an den Strand gehen. Auch zuhause ist Samstag mein fauler Tag, am Sonntag sitze ich oft schon wieder am Schreibtisch, nach der ausführlichen Sonntagszeitungslektüre, versteht sich.

Der wöchentliche Sabbat findet seine Entsprechung im Sabbatjahr, neudeutsch Sabbatical. Eigentlich ein biblisches Konzept:

Sechs Jahre sollst Du Dein Feld besäen und sechs Jahre Deinen Weinberg beschneiden und die Früchte einsammeln. Aber im siebten Jahr soll das Land dem Herrn einen feierlichen Sabbat halten. Da sollst Du Dein Land nicht besäen und auch Deinen Weinberg nicht bearbeiten. (3. Mose 25,1-4)

Und genau so hält es österreichische Graphikdesigner Stefan Sagmeister, dessen Buch und Webprojekt Things I Have Learned in My Life So Far ich sehr mag. Alle sieben Jahre schließt er sein New Yorker Studio, nimmt für ein Jahr keine neuen Aufträge an und macht ein Sabbatical, um eigenen Interessen zu folgen und spielerisch neue Ideen zu entwickeln. Seine Überlegung: Statt der üblichen Dreiteilung des Lebens in 25 Jahre Ausbildung, 40 Jahre Arbeit und 20 Jahre Rente – wie wäre es, wenn man fünf Rentenjahre in regelmäßigen Abständen zwischen die Arbeitsjahre schiebt? Im TED-Vortrag oben erklärt er, wie das geht – und dass seine Arbeit in sechs folgenden Jahren fast ausschließlich auf Einfällen beruht, die er in der Auszeit hatte.

9 Antworten to “Jom Kippur II/Sabbat”

  1. Monika Says:

    Bleibt nur die Frage, wer außer Sagmeister & Co. sich das leisten kann?

  2. Julia Says:

    das freut mich fuer Dich! alles Liebe!

    und stell Dir vor: auch hier in Shanghai war es ausgesprochen ruhig an Jom Kippur. Aber das hat einen anderen Grund: denn nach den Oktoberferien muessen hier die meisten Menschen das Wochenende am Arbeitsplatz und in der Schule verbringen, um die Ferien nachzuarbeiten….Schluchz….

  3. meike Says:

    @Monika: Ketzerisch geantwortet: Ich kenne eine erstaunliche Menge von Menschen, die es sich leisten können, ein Jahr lang oder länger auszusteigen – nämlich nachdem sie ein Kind bekommen haben, ein Umstand, der andere Nationen nicht vom Arbeiten abhält. Ich will hier gar keine Mütter-Debatte lostreten, sondern nur zu bedenken geben: Es scheint ja prinzipiell machbar zu sein, ein Jahr lang nicht zu arbeiten – wieso also nicht auch unter anderen Vorzeichen?

  4. nane Says:

    Klar, kann sich das nicht jeder leisten. Aber wer Freiberufler oder Beamter ist, oder in einer Firma arbeitet, die Sabbaticals mitmacht, der kann es sich theoretisch leisten. Und praktisch?

    Eine Freundin von mir hat 3 Jahre lang bewusst auf grosse Urlaube (Campen in Meckpomm und Freunde in deutschen Städten besucht, statt Malediven oder London). Ihren Berechnungen nach haz sie so rund 4000 Euro gespart. Ausserdem hat sie jeden Monat 200Euro beiseite gelegt (ist weniger shoppen uns selten ausgegangen). Zu Weihnachten und Geburtstag ließ sie sich schon die Jahre vorher gerne Geld schenken, mal waren’s 20 Euro von ner Freundin, mal 400 von den Eltern.
    Ausserdem hat sie ihr Auto abgeschafft und sparte dadurch etwa 2400 im Jahr.

    Sie hat zum September ihre Wohnung 8 Monate lang mit etwas Gewinn untervermietet und bereist in dieser Zeit in Asien. In den anderen 4 Monaten wird sie Zuhause in Berlin sein, drei Abende pro Woche kellnern und tagsüber einen Kunstkurs belegen. Das alles hat sie sich zum 40. geschenkt. Und ihr Freund, mit dem sie seit 5 Jahren eine Fernbeziehung führt, ist mit von der Partie. Er arbeitet b einen großen Konzern in Süddeutschland, sie ist Lehrerin in Brandenburg.

    Alles ist möglich! Ich kenne auch Menschen, die mit 2 Kids ein Jahr Auszeit genommen haben!

  5. Sonja Says:

    Zu Meikes Antwort: Ja, oder man arbeitet “unter anderen Bedingungen”, so wie Sie es tun – und findet dabei Unmengen an Inspiration, auch wenn man keine eigentliche Arbeitspause hat. Es gibt so viele Möglichkeiten, man muss sich nur trauen und das tun, was man tun will.

    Übrigens: Das eine Jahr Kinderauszeit, das bei mir als Freiberuflerin sowieso nur eine teilweise Auszeit war (man will seine Kunden ja nicht für immer an die Konkurrenz verlieren), und die (nur!) 2 Monate, die mein Freund Elternzeit genommen hat, haben unserer Familie übrigens finanziell fast das Genick gebrochen. Unsere Tochter ist 2 und wir spüren die Auswirkungen noch deutlich. War trotzdem schön – aber beim nächsten Mal würden wir’s anders machen.

  6. Almuth Says:

    Liebe Frau Winnemuth
    gerne möchte ich Ihnen an dieser Stelle auch mal bedanken für die enorme Lebensbereicherung und Unterstützung, die Sie mir mit Ihrem Blog geben! Immer wieder freue ich mich auf Neues und am Älteren. Gerade stcke ich in einer Situation, in der ich mich sehr angebunden und ausgelaugt fühle, und da tut es richtig gut, mit Ihnen mitreisen zu dürfen.
    Und falls Sie mal von einigen Tagen Berlin träumen lade ich Sie gerne in unsere kleine Lichterfelder Ferienwohnung mit Terrasse und italienischem Blick ein!
    Und: Jordanien und Petra muss traumhaft sein. Kennen Sie Gertrude Bell? “Ich war eine Tochter Arabiens” ist ihr bekanntestes Buch, Sie reiste Ende des 19. Jahrhunderts……..

  7. romy Says:

    Was mich wirklich fasziniert sind die vielen, unterschiedlichen Lebensmodelle, die die Menschen, denen Sie begegnen, für sich herausgefunden haben.
    Das von Stefan Sagmeier ist wieder so eins.
    Mich inspiriert das ungemein, weil es mir immer wieder zeigt, daß es möglich ist sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu leben.
    Romy

  8. Ulrich Hoffmann Says:

    Großartiges Video, kannte ich noch nicht. Danke! Der Mann macht Mut (und, zumindest für uns Kreative gesehen, hat auch recht – langfristig rechnet sich das, kann ich bestätigen, man muss nur die kurzfristigen Cashflow-Probleme überbrücken. Dispo, sag ich nur! Meine Bank liebt mich!) Viele Grüße, Ulrich

  9. Heidi Says:

    http://stuffwhitepeoplelike.com/2010/09/08/134-the-ted-conference/