Wurzeln
In diesem Jahr gibt es immer wieder Momente, in denen ich denke: Was, wenn ich jetzt einfach bliebe? Ich lese die Lokalzeitung (in diesem Fall den Monterey Herald) und stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich hier leben würde. Heute abend könnte ich zum Beispiel zum Contra Dance gehen, wie das wohl ist? Oder ich würde eine Geocaching-Wanderung mitmachen, heute um eins im Garland Park in Carmel Valley. Danach zum „Book and Garden Sale“ der Community Church, ein paar alte Bücher und ein paar neue Pflanzen für meinen imaginären Bauerngarten kaufen. Und die 40er-Jahre-Poolliege, gusseisern, mit verstellbarem Rückenteil aus dem Kleinanzeigenteil anschauen fahren. Und morgen früh beim 5-Kilometer-Charitylauf „Run in the name of love“ mitlaufen.
Oft fängt es in solchen Momenten zu ziepen an. Wieder Wurzeln schlagen, irgendwohin gehören… Natürlich kann ich auch als Durchreisende zum Tanz gehen oder die fünf Kilometer mitlaufen – ich mache es ja oft genug, es ist eines der großen Vergnügen dieses Jahres, überall eintunken zu können. Aber danach schmeiße ich halt meine Sachen ins Auto und weiß: Die Leute siehst du nie wieder.
Der Luxus dieses Jahres besteht für mich darin, den vielen kleinen Nebenwegen zu folgen, die jeder Ort bietet. Einfach spontan eine Abzweigung zu nehmen und zu schauen, wohin sie führt: vielleicht auf eine ganz neue Straße, von deren Existenz ich noch nicht mal gewusst habe. Und vielleicht am Ende auch einfach nur nach Hause.
Aber erst mal bleibe ich noch eine Stunde vor dem Feuerchen in Doris’ Wohnzimmer-Lobby sitzen und lese weiter in den Kleinanzeigen. „18jähriger grauer Schnauzer vermisst, kahle Stelle auf dem Rücken, halb blind/taub. Zuletzt am 13.6. am Fluss hinter dem Crossroads Shoppingcenter gesehen. Belohnung!“ Genau das meine ich: Manchmal hätte ich halt auch gern einen 18jährigen kahlen halbblinden Hund, für den ich jeden Preis bezahlen würde.
Juni 18th, 2011 at 19:00
Ein wunderbarer Beitrag! Danke Meike, für diese Einsichten……….
Juni 18th, 2011 at 19:05
höhen und tiefen bei deiner reise.. auch das gehört dazu.. du gehst super damit um…
vielleicht auch ein bißchen heimweh wegen morgen?
ganz liebe grüße
nico
Juni 18th, 2011 at 19:33
Planst du eigentlich ganz sicher, nach Ende des Jahres wieder nach Deutschland zurückzukehren? Oder könntest du dir auch vorstellen, für längere Zeit an einen der Orte zu ziehen, der dir auf der Reise besonders gut gefallen hat? Würde mich mal interessieren.
Juni 18th, 2011 at 19:56
Home is where the heart is. Nur ist es für manche Leute einfacher oder schwerer, mit ihrem Herzen umzuziehen, alle (nicht alles) hinter sich zu lassen und neue alle zu finden.
Juni 18th, 2011 at 20:00
Genau diese tiefen Einsichten sind es die ich an Ihrem Reise-Experiment so sehr schätze und die mich brennend interessieren!
Juni 18th, 2011 at 20:24
Ja…das sind große Fragen. Mit der Heimat, der Ferne, den Wurzeln, der Freiheit, die man genießen kann, aber auch aushalten können muss. Ich bewundere, mit welchem Mut Sie ein ganzes Jahr lang auf eigene Faust die Welt bereisen – für mich eine echte Pioniertat, auch im Jahr 2011.
Juni 18th, 2011 at 20:25
Ich hab Dich schon vor Reiseantritt insofern bewundert, als Du eben jeden Monat wieder aufbrechen und damit die vorige Stadt zurücklassen wirst. Einerseits verlockend, andererseits eben anstrengend, weil eben immer wieder Aufbruch fällig ist.
So viele neue Eindrücke, womöglich grad erst richtig angekommen fühlen, die Bindungen zum Ort vertiefen wollen und schon wieder wegmüssen, um in der nächsten Stadt den temporären Anker zu werfen – ich denke, das wäre mir auf jeden Fall nach einigen Monaten zu viel, so reizvoll es auch scheint. So nomadig bin ich nicht veranlagt, ich bin gern unterwegs, aber brauche auch das Angekommen-hier-bleib-ich-jetzt-Gefühl.
Die wichtigste Regel hast Du ja in Hawaii schon erkannt:
“9. Man hat jederzeit das Recht, die Regeln, die man selbst aufgestellt hat,
10. zu ändern.”
Du kannst an Deinen Reiseplänen festhalten. Du kannst auch alles umwerfen und bleiben. Du kannst die eingeplanten zwölf Städte alle nacheinander besuchen und am Ende überlegen, ob eine davon Dein Zuhause werden soll. Du kannst jetzt zurück nach Hamburg gehen. Oder Du verlängerst Deinen Aufenthalt in San Francisco oder anderswo und bereist z.B. “nur” neun Städte in zwölf Monaten.
Optionenparalyse?
Ggf. einfach würfeln, wenn die Entscheidung schwerfällt. Oder eine Münze werfen. Wenn dann die Münze entscheidet “Abbruch”, dann machste das.
Oder Du erkennst, dass Du das doch gar nicht willst… was zumindest mir manchmal erst dann auffällt, wenn jemand anders bestimmen will, was ich tun soll, weil ich mich bislang nicht entscheiden konnte.
Juni 18th, 2011 at 20:25
Es gibt Pflanzen mit sogenannten Atemwurzeln. Ich finde das keine ganz schlechte Lebensweise.
Danke für die Bilder gestern und das Blau.
Juni 18th, 2011 at 20:28
Bitte, bitte machen Sie ein Buch aus allen Ihren Einträgen, ungeschnitten, ungekürzt, ohne noch ein Lektorat dazwischen funken zu lassen. Einfach einen schönen fetten Sehnsuchtsband mit jedem einzelnen Satz und jedem Foto dieses Blogs für die coffee tables, Katzen-, Ess- und Nachttische der Sehnsüchtigen.
Juni 18th, 2011 at 20:46
Auch wenn es manchmal schwer fällt aber genau deshalb sind diese 12 geplanten Monate doch auch so interessant. Alle diese Gefühle gehören auch dazu, besonders das Heimweh. Es ist auch ein Gewinn dieser Reise. Hamburg läuft nicht weg und ist nach den 12 Monaten immer noch da.
Diese Reise ist einmalig und so einen sicher aufwendig organisierten Plan fallen zu lassen um wieder in den Alltag und die Routine einzutauchen, die Sie vorher doch lange hatten, wäre sehr sehr schade.
Weiterhin viel viel Glück und schöne Erlebnisse wünsche ich Ihnen und morgen einen wunderschönen Tag.
Juni 18th, 2011 at 20:58
nie hätte ich gedacht, das ich durch bloßes lesen eines blogs, (zuvor schon das kleine blaue und geo artikel) mich so verbunden mit einem mir fremden menschen fühlen kann.
ohne sie persönlich zu kennen, schaue ich ein wenig zu ihnen auf.
alles gute wünsche ich ihnen und das sie wurzeln in sich selbst finden.
Juni 18th, 2011 at 22:04
Kann ich verstehen, dass man sagt, ich glaub hier will ich bleiben. Andererseits, wer weiß was noch kommt?
Und dann kann man ja immer noch darüber nachdenken an einen dieser zwölf Orte für länger zu bleiben.
Obwohl, Indien ist wohl eher keine Überlegung wert.
Ich finde Ihre Berichte aus SF weiterhin sehr spannend, dabei dachte ich ich könnte es gar nicht erwarten, dass es endlich nach London geht.
Ich bin nämlich selber Anfang August dort und jetzt schon sehr sehr sehr gespannt auf ihre Berichte von dort.
Aber ich will auch noch mehr von SF sehen.
Juni 18th, 2011 at 22:13
Kann es sein, dass Sie heute Geburtstag haben???
Hallo, Sonntagskind ……
Juni 18th, 2011 at 22:29
Der Tag für die heutigen Geburtstagskinder hat hier schon angefangen.
Sie müssen zwar noch ein bisschen warten, bis er bei Ihnen beginnt, aber ….hier geboren, dann gilt auch hier die Zeit….
Deshalb ganz herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Weiterhin eine so interessante und spannende Reise mit all den unerwarteten Begegnungen (dafür beneide ich Sie am meisten), den überraschenden Eindrücken an den verschiedenen Orten und den persönlichen Aha-Erlebnissen, die beim Reisen unvermeidlich sind.
Das Jahr soll einfach wundervoll werden, im wahrsten Sinne des Wortes.
Juni 18th, 2011 at 22:31
Also, die Systemuhr geht wohl ein bisschen nach, es ist jetzt 0:30 Uhr und Sonntag der 19.06.
Juni 18th, 2011 at 23:21
je weiter das Jahr fortschreitet um so interessanter
wird dieser Blog…
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
alles Gute
Juni 18th, 2011 at 23:34
Ich bin erst vor kurzem auf Ihr Blog gestossen, finde es aber ziemlich gut und unterhaltsam. Bezueglich Ihres heutigen Eintrags: Wenn man einmal von daheim laengere Zeit entfernt war, dann ist es nie mehr wie zuvor. Ein Teil von einem ist hier und der andere dort. Wenn man daheim lebt fehlt einem die Ferne, das was man dort hatte, die Freunde, die Leute, die Umgangsformen, das Essen: von allem etwas. Wenn man allerdings in der Ferne weilt, dann gilt gleiches in umgekehrte Richtung. Lebe nun seit gut 5 Jahren in Neuseeland und obwohl ich mir nicht vorstellen kann in naher Zukunft wieder in Deutschland zu leben, gibt es doch einiges Deutsches, dass ich hier vermisse auch wenn ich es nicht zugeben mag. Auf der anderen Seite, weiss ich auch wenn man einmal in eine Kultur richtig eingetaucht ist, dann ist der Drang wieder dorthin zu gehen sehr gross. Mich hat es nach gut sechs Jahren in Deutschland vor besagten fuenf Jahren wieder hierhergetrieben und ich habe diesen Schritt keine Sekunde bereut. Wie lange man den Traum leben kann? Falls ich eines Tages hier weg muss, dann kann ich sagen ich habe x Jahre meinen Traum gelebt, wieviele Leute koennen das schon von sich sagen. Auch deswegen lese ich Ihren Blog gerne, denn sie leben einen Traum, eine Reise von der viele Traeumen. Keiner sagt, dass das Traeume leben einfach ist. Es gibt viele Dinge und Freunde auf die man verzichten muss, aber heute kann man mit allen in Kontakt bleiben ohne grosse Umstaende was das Verzichten leichter macht.
Ich bewundere Leute, die ihr Fleckchen Erde gefunden haben und dort immer bleiben wollen, allerdings muss man sich halt damit zufrieden geben, dass es nicht alles so geht. Ich bin nun mal als Vagabund geboren und denke es wird schwer sein DEN Ort zu finden. Bis dahin treibe ich durch die Welt und habe viele Familien und Freunde auf der ganzen Welt. The world is your oyster!
Juni 19th, 2011 at 00:33
Liebe meike, freue mich über jeden neuen Beitrag, trauere Dir bei C. immer noch nach! Wünsche Dir einen glücklichen Geburtstag und freu mich auf weitere Beiträge – egal, on aus SF oder HH. lg cc
Juni 19th, 2011 at 03:39
Auch von mir noch alles, alles Gute zum Geburtstag und dass die Reise sich am Ende “rund” anfühlen möge und viele tiefe Einsichten geschenkt hat …
Juni 19th, 2011 at 03:43
@Alle: Danke. Von Herzen.
@Stattkatze: Danke. Für die Atemwurzel.
@Paleaosleuth: Ich kann mir absolut vorstellen, irgendwo noch mal länger zu wohnen. In praktisch jeder Stadt (außer Mumbai), in San Francisco sogar für immer.
Juni 19th, 2011 at 06:13
Manchmal hat Reisen auch ein bisschen was von “oh wie schön ist Panama”. Es ist toll, die ganzen Reiseerfahrungen zu machen, aber dann ist es auch zu Hause im kleinen Haus am Fluss wieder toll. Aber hätte man deshalb gleich zu Hause bleiben können? Nein, denn dann hätte man ja nie den Hasen, den Maulwurf und die Krähe getroffen… So oder so ähnlich steht’s bei Janosch.
Juni 19th, 2011 at 06:19
@Suse
Sie bringen es für mich gut auf den Punkt: entweder man ist ein Vagabund oder nicht. Ich bin es z. B. nicht. Ich habe es ausprobiert – und es war (trotz toller Erfahrungen) die härteste Zeit meines Lebens. Ich wurde vor Heimweh und gefühlter Entwurzelung richtig krank. Erzwingen kann man Vagabundieren wohl nicht. Schade, denn ich finde es bewundernswert den EINEN festen Ort für sich nicht zu brauchen.
@Meike Winnemuth: einen traumhaften Geburtstag für Sie!
Juni 19th, 2011 at 11:22
Liebe Frau Winnemuth,
auch ich verfolge schon seit längerem Ihren Blog. Schon oft wollte ich einen Kommentar abgeben, z.B. bei Ihren Eintragungen über Indien. Auch ich habe nach zwei Aufenthalten dort ein sehr gespaltenes Verhältnis zu dem Land und vor allem zu den Menschen, die so überschwänglich von Indien schwärmen. Oder als ich von Ihrem Vermieter in SF gelesen habe. Ich hatte auch einmal Gelegenheit ihn persönlich zu treffen. Ein sehr interessanter Mensch, aber auch ein großer Egomane. Buchtipp: Cantor’s Dilemma (ganz aktuell, Stichwort: Plagiat im Wissenschaftsbetrieb)!
Aber irgenwie waren mir meine Bemerkungen zu unbedeutend und da habe ich es gelassen.
Doch nun las ich gestern in unserer Lokalzeitung einen Artikel über das Centennial Light und ich dachte, das ist doch eine so skurrile Geschichte, die müsste Sie interessieren. Falls Sie die Geschichte noch nicht kennen, hier mehr dazu (http://de.wikipedia.org/wiki/Centennial_Light). Den Artikel aus der Zeitung finde ich nicht online.
Auch von mir alles Gute zu Ihrem Geburtstag und ein weiteres spannendes, erlebnisreiches und glückliches Jahr!
Claudia F.
Juni 19th, 2011 at 11:36
Liebe Meike
ich kann deine Erlebnsise nur bestätigen. Zuerst ist das Alleine-Essen gewöhnungsbedürftig. Aber dann macht es umso mehr Spaß. Man erlebt alles viel intensiver, denn man ist ja nicht abgelenkt. Und was man nicht alles erleben kann als Beobachter in Restaurants und Cafes! Dabei lernt man ein Volk durchaus sehr gut kennen.
Viele ungewöhnliche Beobachtungen wünsche ich dir auf deiner Weltreise
Jutta
Yeah – und alles Gute zum Geburtstag!
Juni 19th, 2011 at 11:56
Ich mache viel Projektarbeit, mal nur 4 Wochen, dann 1,5 Jahre oder alles dazwischen in ganz Deutschland. Da gibt es nette Kollegen, tolle Städte, wunderbare Kunden und ich bin traurig, wenn es vorbei ist. Aber es gibt dann auch das Gegenteil, und ich bin dann nach der Zeit froh, wenn es zum nächsten Kunden, in die nächste Stadt, auf das nächste Projekt geht.
Vielen meiner Kollegen geht es genaus so und ja, es muss da ein Vagabunden-Gen geben, das uns das aushalten und immer wieder lieben lässt.
Alles Gute zum Geburtstag!
Juni 20th, 2011 at 07:51
Liebe Meike, alles Liebe zum Geburtstag – nachträglich! Du wirst einen kahlen, halbblinden 18jährigen Hund haben. Alles kommt zur richtigen Zeit!