On top of it

Seit Hawaii und Doris Duke habe ich eine Schwäche für meschuggene Erbinnen, und hier kommt die nächste: Von fast überall in Russian Hill kann man auf den Coit Tower im benachbarten Telegraph Hill gucken. Zu verdanken hat die Stadt ihn Lillie Hitchcock Coit, die 1851 als Siebenjährige mit ihren reichen Eltern nach San Francisco zog und dort eine obsessive Liebe zur Feuerwehr entwickelte, speziell zur Freiwilligen Feuerwehrmannschaft Knickerbocker Engine Company Number 5, die sie mal aus einem Hotelbrand gerettet hatte. Wann immer fortan ein Feuer ausbrach, war sie als Maskottchen mit dabei und feuerte ihre Mannschaft an. Angeblich hat sie sich sogar die Nummer 5 auf ihre Unterhosen sticken lassen.

Lillie muss ein ziemlich flamboyantes Leben geführt haben. Sie war zeitweise mit zwei Männern gleichzeitig verlobt, wechselte ständig ihren Verlobungsring und heiratete dann gegen den Willen ihrer Eltern einen davon, Howard Coit. Als sie einmal gern einen Boxkampf sehen wollte, zu dem Frauen damals noch nicht zugelassen waren, ließ sie einen Preiskampf in einem Hotelzimmer ausrichten und schaute ihn von einem Tisch herab an. „Bis zum K.O.!“ verlangte sie. Sie trieb sich, als Mann verkleidet, in Spielhöllen herum, rauchte Zigarre und floh schließlich, als ein Verwandter versuchte, sie zu erschießen (sie hatte sich geweigert, ihm ihre Finanzverwaltung zu übertragen), und dabei einen Unschuldigen tötete, nach Paris, wo sie am Hof von Napoleon III. lebte. 1923 kehrte sie nach San Francisco zurück, wo sie 1929 mit 88 starb. Der Coit Tower wurde mithilfe von 100.000 Dollar gebaut, die sie der Stadt vermachte. Bis heute heißt es in der Stadt, er sehe aus wie eine Feuerwehrspritze, aber der Architekt hat die Inspiration immer bestritten.

Rund um den Coit Tower liegt einer der schönsten Stadtteile von San Francisco, Telegraph Hill. Hier leben wilde Papageien in den steilen Gärten (darüber gibt es auch einen Dokumentarfilm), die Häuser erreicht man nur über steile Treppen, einige über geplankte Holzwege. Es ist völlig verwunschen hier oben, ein Ort, der meilenweit von allem entfernt zu sein scheint und doch mitten in der Stadt liegt. In der Napier Lane 15 steht übrigens ein kleines Cottage zum Verkauf, genau die richtige Größe, mit Blick auf die Bay. Sonntag habe ich Geburtstag, falls also noch jemand…

Als ich unten wieder auf dem Boden angekommen war, fuhr gerade ein Feuerwehrauto am Sentinel Building in der Columbus Avenue vorbei, dem Sitz der Filmproduktionsfirma von Francis Ford Coppola. Ich empfand das als Aufforderung von Lillie Coit, vor dem schönen Café Zoetrope auf der Stelle eine Pizza zu essen und zwei Glas Malbec zu trinken. Ich habe gelernt, auf die Signale zu hören.

Überhaupt: Vielleicht entwickelt man beim Reisen eine besondere Aufmerksamkeit für die geheimen Fäden, die zwischen den Orten gesponnen sind, aber wenn mir Leitmotive wie Feuerwehr (neulich in Hawaii, letzte Woche hier in SF) oder Francis Ford Coppola hartnäckig immer wieder begegnen, dann beglückt mich das auf ganz seltsame Weise. Ich habe neulich ja schon mal vom Reisenden als Zusammenhangmaschine geschrieben, und das wird immer wahrer, je länger es dauert.

Café Zoetrope, 916 Kearny Street, Mo-Fr 11-22 Uhr, Sa 12-22 Uhr, So 12-21 Uhr.

21 Antworten to “On top of it”

  1. Christine Says:

    Liebe Frau Winnemuth, die Papageien sind klasse.. Eine ähnliche Art lebt seit 1984 hier in Stuttgart:
    http://content.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1991047_0_9124_-vogel-frei-die-wilden-papageien-von-cannstatt.html
    Sie führen lautstark (vorzugsweise Sonntag früh um 6 Uhr :-) ) ihre Unterhaltung. Der Klang ihrer Stimmen weckt mich und ich fühle mich wie “im Dschungel” – mitten in der Großstadt. Diese Papageienart ist wohl im Überleben sehr geübt und bringt Farbe und Leben in die Stadt.
    Weiter gute Entdeckungen wünscht Ihnen Christine.

  2. Feuerwehr News Says:

    News aus der Feuerwehr-Szene…

    Vor mir die Welt? ? On top of it…

  3. Uschi aus Aachen Says:

    Wundervoll, dieses Sich-treiben-lassen-können. Was uns unser zumeist eiliger Alltag fast völlig ausgetrieben hat…

  4. lilyraines Says:

    Ihre Geschichten sind einfach wundervoll.
    Speaking of Malbec: Francis Ford Coppola gibt’s auch zum Trinken (und nicht allzu weit entfernt, nördlich von Santa Rosa, zu besichtigen). http://www.franciscoppolawinery.com/wine
    Cheerio, Miss Meike!

  5. Tina aus OWL Says:

    Liebe Frau Winnemuth, nun habe ich Sie endlich auch einmal (fast) live und in Farbe sehen können: eine Bekannte hat mir eine ca. 5minütige Interviewaufzeichnung zum “kleinen blauen Kleid” geschickt (Nachtkultur – SWR)! Und wieder einmal bin ich sehr traurig, dass ich auf Ihr Projekt mit dem blauen Kleidchen erst so spät (wirklich sehr zum Ende hin) gestoßen bin, aber zum Glück dafür VmdW von Anfang an begeistert mitverfolgen konnte!

  6. bling.bling Says:

    on top of the world… und das schon für 6 monate. wahnsinn, wie die zeit vergeht…und ich bin dabei. :)

  7. Ulrike Says:

    Die Pizza Rucola hätte ich mir auf der schnuckeligen Terrasse des Häuschens servieren lassen, welches zum Verkauf steht… Was für ein tolles Haus!!!

    Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Zeit! Bin begeistert!

    Liebe Grüße aus OWL: Ulrike

  8. cocker41 Says:

    Hallo, meinPC hat mal wieder gestreikt und so war ich einige zeit nicht online und bin erst heute wieder eingestiegen. Es war wie immer ein Genuß. Freunde sind gerade von einer4 Wochenreise aus USA( LA, SF, LasVesgas) zurück. Genau so begeistert.
    Es ist schön über den Blog teilzunehmen und sich mittreiben zu lassen. Ich genieße Ihren Stiel, Ihre Art der Beschreibung. Nur das mit dem Geburtstagsgeschenk wird etwas schwierig.
    Dennoch 1000 Dank!!!

  9. Christian Says:

    Cottage? Kaufen!!!!

  10. Christina Says:

    Ohh wie schön! Ich fand den Coit-Tower sehr genial und bei Sonnenuntergang die Stadt von dort oben zu betrachten, war ein wunderbares Erlebnis!

    Schöne Grüße
    Christina

  11. Ben's Mum Says:

    Hallo Meike,
    ja, wenn Sie den Preis für das Cottage dazugeschrieben hätten….

    Dirk hat ja auch am Sonntag Geburtstag und vielleicht würde es ja reichen, wenn wir unser gemeinsames Geburtstagsgeld zusammenschmeissen. Meins würde für den Briefkasten schon reichen.

    Das gäb ne WG…fehlte nur noch Rainer L., Sie wissen schon.
    Könnt mich ob der Vorstellung beömmeln.

  12. Ulrike Says:

    @ Ben´s Mum: $1.230.000. Dann mal viel Glück beim Geburtstaggeld zusammenschmeissen. Ich fürchte, es wird nicht reichen… Auch mit viel gutem Willen nicht…

    Ich hab die Portokasse auch schon 3x durchgezählt. Reicht auch bei mir nicht. Schade.

  13. petra Says:

    Vielleicht ja mal ein Buch über meschuggene Erbinnen? Wundervolle Lektüre!!!!!

  14. Dievommond Says:

    was ist denn das fuer ein leckeres Troepfchen in dem Glas? Grand Cru?

  15. meike Says:

    @Dievommond: Malbec. Von des Meisters eigenen Weinbergen.

  16. Lena Says:

    Ich war letztes Jahr selber in SF und kann den Ausblick von “Twin Peaks” nur empfehlen. Entweder mit dem Fahrrad hochradeln oder bequem den Bus nehmen und die Aussicht über die Stadt, die Bay und die grünen Hügel genießen…

  17. nico Says:

    also die idee über die verrückten erbinnen.. erben… suuuper
    dann bitte auch ein kapitel über diese hier schreiben

    Zitat: “Und genau so schrullig wie sie gelebt und die letzten Jahrzehnte … In den vergangenen 22 Jahren hatte sie allein mit ihren Puppen gelebt. …. Mysteriöse Millionenerbin tot: 22 Jahre im Krankenhaus – ohne krank zu sein” HUGUETTE CLARK

  18. Toni Says:

    Clark hatte riesige Häuser, luxuriöse Anwesen, auf denen jahrzehntelang nur die Dienstboten lebten: Köchinnen, Gärtner, Stubenmädchen, Hausdamen, Chauffeure. Die Chefin tauchte niemals auf (sie “wohnte” ja im Krankenhaus), der ganze Aufwand wurde “nur so” betrieben. Wie mag es in diesen Häusern zugegangen sein? Haben die Leute, die für Clark arbeiteten, sich eine gute Zeit gemacht, sind vielleicht auch mal selbst in den Pool gesprungen? Oder haben sie sich verhalten, als könne Huguette jederzeit auftauchen? Würde mich sehr interessieren.

  19. Sibylle Says:

    Schrullige Erbinnen und Erben…. köstlich….. wo besser als in London auf die Suche zu gehen, angefangen mit Dame Edith Sitwell!

  20. nico Says:

    @toni
    ich würde mir auch wünschen, dass das jemand rausfindet…und aufschreibt.. super spannend

  21. Irene Says:

    Meine Freundinnen aus SF sind zur Zeit hier in New Otani. Habe heute Abend bei unserem Picnic am Kaimana Beach an dich gedacht :)