Lucie
Ich schreibe in der Regel nicht so furchtbar viel über die Leute, die mir auf meiner Reise begegnen. Es sind viele, es sind viele tolle, und es hätte was von einer Schmetterlingssammlung, wenn jedes Prachtexemplar hier aufgespießt würde. Lucie habe ich schon vor drei Tagen getroffen, und ich dachte gleich: Gott, über die muss ich bloggen. Und habe es dann gelassen. Aber es lässt mir eben doch keine Ruhe – weil man so viel von ihr lernen kann.
Lucie ist eine dieser Frauen, die ich vor 20 Jahren, als ich circa in ihrem Alter war, furchtbar doof gefunden hätte. Und jetzt ziemlich wunderbar. Beides aus demselben Grund: Sie folgt radikal ihrem Instinkt und ihrem Herzen. Sie ist Sängerin und Schauspielerin, ist eine Zeitlang mit ihrem eigenen One-Woman-Musical „Gabrieles Universum – oder: Ich heirate meine Schreibmaschine“ auf Kleinkunstbühnen aufgetreten, hat hier und da Konzerte gegeben, Englisch auf Zanzibar unterrichtet, Kinderbetreuung in Sardinien gemacht – was man halt so tut, um sich durchzuschlagen. Vor drei Jahren begann sie, von Hawaii zu träumen, und zwar im Wortsinn: Sie werde dort glücklich werden und den Mann ihres Lebens finden, hatte sie geträumt. Jeder normale Mensch wäre aufgewacht (wiederum im Wortsinn) und hätte den Traum zu den Akten gelegt, nicht so Lucie: SIe flog nach New York, schlug sich per Couchsurfing bis San Diego durch, erwischte einen Billigflug nach Hawaii, landete auf Kauai – und traf nicht den Mann ihres Lebens. Aber sie tat etwas anderes: Sie schrieb Songs und schaffte es, eine ganze Kirche für ein Konzert voll zu bekommen. Wie? „Ich bin viel getrampt auf der Insel und habe dabei vom Rücksitz aus immer Songs für die Fahrer gespielt. Das waren sozusagen meine Werbespots.“ Trotzdem flog sie heim.
Aber die Geschichte geht weiter. Sie kehrte zurück nach Hawaii, diesmal nach Honolulu. Und traf hier, wieder beim Couchsurfing: Matthew, halb Amerikaner, halb Australier. Boom, das war’s. Traum wahrgeworden. Die letzten Monate haben sie in Hamburg verbracht, Lucies Heimatstadt, davor waren sie bei seiner Familie in Melbourne, wo Matthew, mit seiner Ausbildung in Permakultur, den Hinterhof seiner Eltern in einen essbaren Garten verwandelt hat. In Hamburg hat Lucie sogenannte Wohnzimmerkonzerte gegeben. Man konnte sie anheuern, sie kam dann in die Wohnung und spielte vor zehn, zwanzig Leuten, den Gastgebern und deren Gästen. Die sie ihrerseits anheuerten – ein Schnellballsystem, das bestens funktionierte. Zwischendrin drehte sie in Berlin einen Spielfilm. Seit Anfang der Woche sind die beiden wieder in Hawaii, derzeit suchen sie nach einem Stück Land, um dort ihr eigenes Gemüse zu ziehen. Anfang Juni werden sie heiraten.
Alles klar, dachte ich. Super Geschichte. Bezauberndes Mädchen. Bisschen spinnert, aber hinreißend. Große Träume und so. Mal sehen, wie lange sie es hier aushalten wird. Aber dann packte sie ihre Gitarre aus (die Gitarre heißt Martin) und spielte mir ein Lied vor. Das ist normalerweise der Moment, in dem ich innerlich zusammenschrumpele. Ich weiß immer nie so genau, wohin ich gucken soll, wenn mir jemand was vorspielt. Aber in diesem Moment habe ich einfach nur zugehört. Und sie sang:
Atemberaubend. Treffer, versenkt.
Und dann kam auch noch die Kellnerin an den Tisch (wir saßen, es war spät geworden, im längst leeren Little Village in Honolulus Chinatown. Sensationeller Pecan Spinach Salad übrigens.). Ob Lucie vielleicht noch mal spielen könnte, die Köchin hätte da was von fern in der Küche gehört und würde das jetzt gern noch mal… Da wusste ich: Dieser Frau wird immer nur Gutes wiederfahren. Es geht gar nicht anders.
Mai 23rd, 2011 at 09:16
Uff. Danke, dass Sie mal wieder eine derart berührende Erfahrung mit uns teilen!
Mai 23rd, 2011 at 09:24
Ihr erster Blogbeitrag, der mir Tränen in die Augen treibt.
Mai 23rd, 2011 at 09:33
Klingt bescheuert, aber dieser Blogpost hat mir gerade diesen Montag versüßt. Merci!
Mai 23rd, 2011 at 09:38
absolut verrückt. ein toller montagspost! made my day.
Mai 23rd, 2011 at 09:49
Wunderschön. Aber aaaah, der Link funktioniert nicht!! Bitte, bitte, mach was…
Mai 23rd, 2011 at 09:55
@Jennie: danke! Jetzt geht’s.
Mai 23rd, 2011 at 09:56
Das ist eine ganz wunderbare Story.
Ich habe eben erst von diesem Blog erfahren, und wie es zustande kam (deine Kolumnen kannte ich schon länger), und als erstes lese ich gerade das. Wunderbar. Im Rahmen meiner Möglichkeiten tue ich auch, das, wonach mir der Sinn steht, nur dass ich meinen Traummann vor langer, langer Zeit getroffen habe, bevor mir klar wurde, dass ich meine Träume auch leben will. Aber so herum funktioniert es auch, ist nur vielleicht nicht ganz so romantisch
Werde hier ganz sicher häufiger vorbeischauen!
Mai 23rd, 2011 at 09:56
schön!
Mai 23rd, 2011 at 10:02
Jetzt kommen mir ernsthaft die Tränen… Das hat doch was zu bedeuten, solche Menschen zu treffen und ihre Wahrhaftigkeit einzuatmen…. Wunderschön!
Mai 23rd, 2011 at 10:03
Oh, und dann noch La Paloma und Hans Albers!
Genau den mit der Möwe verlinkten Filmausschnitt hatte ich mir letzte Woche zufällig angeschaut. Weil ich La Paloma gerade auf dem Klavier lerne, und weil dieses Lied in der Originalaufnahme von Hans Albers in einem meiner frühen Lieblingsfilme so eine dominierende Rolle spielt: Das Auge mit Isabelle Adjani und Michel Serrault. Hach.
Mai 23rd, 2011 at 10:11
….sehr, sehr schön…. das bestätigt nun wieder : lebe deinen Traum. Alles was man aus tiefstem Herzen macht muss einfach belohnt werden. Den Glauben an sich selbst darf man nie verlieren. (gibt es eigentlich auch ‘nen anderes Wort für “man”?)
Mai 23rd, 2011 at 10:29
@Cordula: Das andere, aber auch schwierigere Wort für „man“ ist „ich“.
Mai 23rd, 2011 at 10:29
besondere geschichte, wirklich berührend und inspirierend. danke meike
Mai 23rd, 2011 at 10:53
… hab schon wieder Tränen in den Augen (wie auch bei der Geschichte vom Flughafen in Tokyo),
ach wie schön dass es solche Menschen gibt,
die sich das trauen zu machen, wovon andere nur träumen.
Ich wünsche Lucie weiterhin soviel Talent zum Glück.
Mai 23rd, 2011 at 11:10
Eine vielleicht viel zu persönliche Frage: Was wäre denn Ihr Traum, im Wortsinn? Mein Gefühl sagt mir, Sie sind glücklich und zufrieden mit Ihrem Leben, wie es ist.
Mai 23rd, 2011 at 11:16
@Marie: Das fragen Sie im Ernst?
Mai 23rd, 2011 at 11:21
Ich hätte vielleicht nicht während Hawaii fragen sollen, sondern zu einem anderen Zeitpunkt.
Mai 23rd, 2011 at 11:30
Auch zu jedem anderen Zeitpunkt würde die Antwort lauten: Ich stecke mittendrin.
Mai 23rd, 2011 at 11:57
Da kriege ich Gänsehaut, die vom Herzen ausgeht …
Mai 23rd, 2011 at 13:14
Gänsehaut pur – Du weisst warum!
Danke ganz speziell für diesen post!
Mai 23rd, 2011 at 13:53
[...] lese Blogs, wegen Texten und Geschichten und Leben wie diesen. var flattr_wp_ver = '0.71'; var flattr_uid = '1685'; var flattr_cat = 'text'; var flattr_tle = [...]
Mai 23rd, 2011 at 14:37
Beneidenswert … und ich hätte sie trotzdem nicht gemocht.
Mir übernimmt sie zu wenig Verantwortung.
Aber vielleicht ist es auch nur der Neid meinerseits, weil ich mich nicht so “davonstehlen” konnte und durfte.
Mai 23rd, 2011 at 15:11
Es gibt ja so einen neuen Trend zum Minimalismus. Ich denke, wenn man sich nicht an materielle Dinge hängt, kann man so ein Leben leben, und manchmal würde ich es gerne auch. Aber ich habe noch ein Kind, das versorgt werden muss, und da Kinder nicht gefragt werden, ob sie geboren werden wollen, tue ich alles, um ihm eine schöne Kindheit und eine gute Ausbildung zu ermöglichen, und deshalb muss ich halt arbeiten, um die Miete für eine gemütliche Wohnung, sein Zuhause, bezahlen zu können. Eine 3-Zimmer-Wohnung in München – da hat man zu tun, to make ends meet. So hat jeder seine Lebensform, für die er einsteht, und ich bin zwar öfters wehmütig, weil ich gerne viel reisen möchte und nur manchmal kann, aber dafür habe ich ein glückliches und fröhliches Kind hier vor der Nase, und das ist wirklich etwas sehr Schönes. Mein persönliches Geheimnis zum Glück ist, nicht meine Situation mit der anderer zu vergleichen. Täte ich das, und das war sicher schon oft der Fall, würde ich sehr hadern, und habe schon gehadert, aber immer weniger.
Ich habe Schiss zu WWM zu gehen, mein Problem. Schon für 16 000 wären etliche Reisen drin, ich hätte dann auch kein Problem, Wohnungstausch zu machen, das gibt’s ja auch, neben dem Couchsurfing.
Mai 23rd, 2011 at 18:01
Aus der Geschichte könnte man doch einen tollen Film machen, oder? Das Drehbuch ist jetzt ja quasi schon geschrieben
Mai 23rd, 2011 at 23:14
Hallo zusammen.
Ich durfte Lucie kennen lernen und muss sagen,eine unglaublich charmante Frau.Hab mit ihr in Berlin gedreht.Klasse Schauspielerin und eine tolle Sängerin.Und Mathew passt wie die Faust aufs Auge.Da haben sich zwei gefunden.Pure Harmonie.
Falls die junge Dame das hier liest,schöne Grüße vom “ich wohn hier seit 3 Wochen Leon”.
ps:wir sehn uns auf Hawai.
Mai 24th, 2011 at 08:30
Ich bewundere diese Art von Menschen und beneide sie auch ein bißchen, weil ich das genau nicht könnte: mich einfach in das Leben hineinwerfen und darauf vertrauen, daß für mich”gesorgt” wird. D.h. nicht “Schmarotzertum”, diese Frau macht anderen ja mit ihrer Musik Freude. Aber ich merke jedenfalls, je älter ich werde, daß (Gott sei Dank) die materiellen Wünsche nach und nach verschwinden und dafür anderes viel wichtiger wird: Freundschaften, Begegnungen, vor allem mit Kindern, oder sich einfach öffnen, für das was kommt. So wie Sie uns das jetzt im Moment vorleben. Und ich bin froh, daß Sie “ausnahmsweise” über diese Begegnung berichtet haben. Weiter eine gute Reise mit vielen erfüllten Begegnungen.
Mai 24th, 2011 at 16:50
und eben genau so eine “Lucie” darf ich meine Freundin nennen. Wie es der Zufall so will wird sie auch in diesem Jahr nach Hawaii auswandern, denn sie hat ebenfalls dort den Mann fürs Leben gefunden. Vielleicht ist Hawaii eine Sammelstelle für alle Lucie´s dieser Welt?!
Hier noch etwas hawaiianisches auf Ihre Ohren:
http://www.youtube.com/watch?v=e90Y3aY71DU
Mai 25th, 2011 at 01:16
@ Beate – vielleicht übernehmen solche Menschen eine andere Art von Verantwortung? Allein die Tatsache, dass sie vielen anderen ein Lachen aufs Gesicht zaubert ist schon “Leistung’ – die Welt braucht mehr davon.
Mai 25th, 2011 at 03:07
Dann will ich heute auch mal wieder meinen Senf dazu geben: mein Problem ist, dass ich einfach einen anderen Musikgeschmack habe und mit solchen “Happy – Menschen” nicht soviel anfangen kann. Luthea Salom, der ich heute morgen auf Facebook begegnet bin, ist auch so eine. Nicht, das ich das ueberhaupt nicht mag – aber naja, was ich jetzt sagen will, wuerde zu arrogant klingen, deswegen lass ich es lieber.
Egal. Auf jeden Fall ist es gut, dass es solche Menschen gibt, dies wiederum hat nichts mit der musikalischen Auffassung zu tun.
Mai 25th, 2011 at 12:23
liebe Meike,
ich habe mir Zeit genommen und mir die Songs und Texte von Lucie angehoert (also etwa alle). Die hat ja ne super Stimme! Und ist mir inzwischen richtig sympathisch. Nach ihrer Musik zu beurteilen muss sie alles andere als “etwas spinnert” sein.
lieber Gruss! Julia
Mai 26th, 2011 at 09:18
Ich habe gestern auf bayern 3 von Ihrer Website erfahren und musste einfach mal drauf ..
bin fasziniert … Ihre Schreibweise, Ihre Wortwahl … treffend, schlicht und einfach perfekt ..
ich komm mir vor, als wär ich mittendrin …
Neidisch bin ich auch … ich hätte mit so nem Gewinn das allergleiche gemacht (mal davon abgesehen, dass ich wahrscheinlich nie so weit gekommen wäre ) …
Ich finde es toll wie mutig Sie sind und so eine einzigartige Reise machen!
Und gerade dieser Blog-Eintrag hat mir echt Gänsehaut verschafft!
Nicht nur Lucie ist eine interessante Frau, sondern auch Sie …
werde jetzt mit Sicherheit öfter auf Ihre Website schauen … Danke, für die Erlebnisse, die Sie mit allen teilen!
Aloha aus Bayern!
Mai 28th, 2011 at 11:47
Ein Beweis mehr dafür, dass Träume gelebt werden sollten.