Jäger & Sammler

„Waren das nicht die tollsten 90 Minuten Ihres Lebens?“ fragt Victoria am Ende des Rundgangs, der auf der Liste der tollsten 90 Minuten meines Lebens auf jeden Fall unter den Top Ten steht. Wir stehen im Garten von Shangri La, dem Haus von Doris Duke, und Victoria fragt uns, was wir aus dem Haus mitnehmen würden, wenn wir dürften. „Die versenkbare Fensterfront im Wohnzimmer“, sagt ein Mann, eine Frau: „den Mihrab“, eine Gebetsnische. „Den Kronleuchter aus dem Esszimmer“, „die Holzdecken“, „die Symmetrie überall“. Mir fällt nur ein: „Das Talent zu wissen, was man mit zuviel Geld machen kann.“

Doris Duke war eine sehr, sehr reiche Frau. Mit 12 erbte sie 100 Millionen Dollar (nach heutigem Wert circa vier Milliarden) von ihrem Vater, dem Gründer der American Tobacco Company. In der Klatschpresse war sie nur „das reichste Mädchen der Welt“. Aber anders als andere poor little rich girls des letzten Jahrhunderts wusste sie etwas mit ihrem Leben anzufangen. Sie war eine intelligente, eigenwillige, athletische Frau, gut 1,80 Meter groß. Sie beherrschte fünf Sprachen, schrieb Jazzsongs, sang in einem Gospelchor, lernte tanzen bei Martha Graham, spendete einen guten Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke und reiste, reiste, reiste. Auf ihrer Hochzeitsreise – sie war Anfang 20, ihr Mann ein 15 Jahre älterer Politiker, die Ehe hielt fünf Jahre – verliebte sie sich unsterblich: zuerst in islamische Kunst und Architektur, dann in Hawaii.

Eigentlich hatte sie nur zwei Wochen bleiben wollen, dann wurden es vier Monate. Sie freundete sich mit der Surflegende Duke „The Big Kahuna“ Kahanamoku und seinen fünf Brüdern an, ging mit ihnen surfen, paddeln und segeln. Schnell war klar: Hier wollte sie ihr Haus bauen, nicht wie geplant in Palm Springs. 1936 kaufte sie ein Grundstück östlich von Waikiki direkt am Pazifik, 1937 begannen die Bauarbeiten an Shangri La. Der Name stammt aus einem Bestseller jener Jahre, Lost Horizon von James Hilton, und bezeichnet eigentlich einen mythischen Ort in Tibet, wurde aber schnell zum Kürzel für jede Art von verstecktem Paradies.

Und gut versteckt ist Shangri La bis heute. Selbst wenn man die hohen Mauern hinter sich gelassen hat: von außen sieht das Haus völlig unspektakulär aus. Weiße Quader, ineinander verschachtelt, nach islamischem Vorbild rund um einen Innenhof gebaut – und gefüllt mit Schätzen aus allen Winkeln der Welt. Doris Duke kaufte in Syrien, Irak, Iran, Ägypten, Indien, Usbekistan, China, ließ Holzdecken in Rabat schnitzen und Kacheln in Isfahan fertigen, lieferte sich ein Bietgefecht mit dem Metropolitan Museum um einen Mihrab aus dem 13. Jahrhundert (der nach dem Angriff auf Pearl Harbor schnellstens in den Keller gebracht wurde). Aus der Türkei brachte sie bemalte, aber angekokelte Holztüren mit, die sie selbst in mühsamer Arbeit mit Schwämmchen vom Ruß befreite. Ein Museum war das Haus nicht, darin wurde gelebt, es wurde ständig umgebaut. An einer Wand ist ein kreisrundes Loch zu sehen, hier hat Doris Duke, damals fast 80, kurz vor ihrem Tod 1993 ein Ornament aus der Wand gemeißelt, um etwas anderes hineinzusetzen. Es blieb eine Lücke, in jeder Hinsicht.

Im Haus selbst darf nicht fotografiert werden, aber hier ist eine virtuelle Tour durch Shangri La. Es gibt drei Führungen täglich, Voranmeldung bei der Honolulu Academy of Art dringend nötig.

Danach habe ich mir in der Academy of Art noch eine Ausstellung angesehen, die beweist, dass man kein Geld braucht, um große Kunst zu besitzen. Herb und Dorothy Vogel – er Postangestellter, sie Bibliothekarin – haben in den frühen Sechzigern begonnen, Minimalismus und Konzeptkunst zu sammeln, die zwei Bedingungen erfüllen musste: Sie musste erschwinglich sein – und klein genug, um in ihre Zweizimmerwohnung in New York zu passen. Dort fanden sich am Ende fast 5000 Kunstwerke, darunter Arbeiten von Sol LeWitt, Robert Mangold, Roy Lichtenstein und Richard Tuttle. 2008 beschlossen sie, einen Teil ihrer Sammlung zu verschenken: Jeder der 50 Bundesstaaten bekam 50 Werke. Die 50 für Hawaii habe ich nun gesehen.

Völlig gerührt saß ich hinterher in der Sonne vor dem Museumscafé, dachte über die Vogels nach und über Doris Duke, über die Liebe zur Kunst und die Liebe zum Leben. Die eine wie die anderen haben nichts anderes gemacht als der Intuition zu folgen. Irgendetwas Fremdes, Aufregendes, unerklärlich Schönes hat zu ihnen gesprochen, und sie haben ganz einfach: hingehört. Ich blätterte ein bisschen in einem Buch über Shangri La, trank ein Glas Weißwein, aß Mahimahi mit Sobanudeln. Eine Kellnerin blieb vor meinem Tisch stehen, guckte mich an und sagte: „I’d like to be you.“ Ich auch, möglichst für immer.

21 Antworten to “Jäger & Sammler”

  1. Sigrid Says:

    “I’d like to be you.”
    W A S für ein Kompliment! Ein Moment in dem man ganz eins mit sich ist….zu mir hat das leider noch keiner gesagt!

  2. Emmily Says:

    Danke
    Schöner kann ein Samstag morgen nicht beginnen

  3. Renata Says:

    Ja also …..

  4. Tally Says:

    Gänesehaut bei deiner Beschreibung.

    Ich hoffe, auch die Kellnerin wird einmal in einem Café ihrer Wahl sitzen und sich mit Leckereien bedienen lassen können.
    Nochmehr hoffe ich, dass sie es voll innerer Freude so genießen kann wie du.
    Das ist die Gabe und eine Fähigkeit.

    Grüße aus HH
    Tally

  5. Marie Says:

    Gott, ist das schön.

  6. Pia Says:

    Danke, Danke, Danke – you made my day

  7. Claudia H. Says:

    Sie bringen mich zum nachdenken und relativieren Frau W.!

  8. Jennie Says:

    How immensely, unbelievably beautiful.

  9. eva Says:

    Jetzt muss ich fast ein bisschen weinen. So schön ist das. So schön.

  10. Aimée Says:

    Was für eine empathische Person – hat sich einen Orden verdient!

  11. Eunice Schenitzki Says:

    Herzlichen Dank, es ist alles sehr schön, eigentlich : maravilhoso !!!

  12. nico Says:

    was für ein kompliment…und noch schöner, die offenheit dieses kompliment jemandem zu machen!
    ehre wem ehre gebührt!

  13. Gabi Says:

    Vielen Dank für diesen Artikel und die dadurch “indirekte Begegnung” mit diesen großen Persönlichkeiten. Ein tolles Beispiel dafür, dass man Bemerkenswertes aus seinem Leben machen kann wenn man das Talent dazu hat – ob mit Geld oder ohne.

  14. birgit Says:

    ein Traum. und zwar ein ganz, ganz schoener!

  15. Sibylle Says:

    Uplifting! Dankeschön!
    Und Dank für den Koi-Teich; ich habe meinen nun gegen größere Gewässer in Hamburg eingetauscht….

  16. Vita Says:

    Wie seltsam… Habe irgendwo ein Paperback-Reisebuch, sehr unterhaltsam geschrieben von einem jungen Iren oder Engländer, der vor 10 Jahren oder so eine Zeit in einem Dorf in Co.Donegal in Irland verbrachte, und der dort auf die mit dem Dorf verknüpfte Geschichte mit Doris Duke stieß. Der Rest des Buches vergeht mit seinen Nachforschungen über Doris Duke, die in ihrem späten Jahren mit ihrem Butler (hieß er Lafferty?), der aus diesem Dorf stammte, immer mal Zeit dort verbrachte. Offenbar ging die Beziehung zwischen Doris und Butler über das übliche Angestelltenverhältnis hinaus. – Muß das Buch mal suchen… Ich fürchte, es ist noch in einem unausgepackten Umzugskarton…
    Frauen wie Doris Duke neigen dazu, in anderer Leuts Leben häufiger als einmal aufzutauchen.

  17. meike Says:

    @Vita: Ja, der Butler hieß Bernard Lafferty, er hat damals einiges von ihr geerbt, ist aber seinerseits recht früh, mit 51, gestorben, drei Jahre nach ihr.

  18. HollyGolightly Says:

    danke für die sonnenstrahlen, die mit diesem beitrag grade im verregneten deutschland eingetroffen sind!

  19. sarah Says:

    wunderbar. Freit mi fuer di..Es gibt auch einen Dokumtentarfilm ueber die Vogels. Bemerkenswert. Und Shangri La ist ja ein Paradies. Love the Suzanis aus meines Vaters Heimat Uzbekistan

  20. Gimoka Says:

    Literaturnobelpreis, allein für den letzten Absatz. Dreimal geschluckt, als die Worte ihre Bedeutung entfaltet und sich im Herzen ausgebreitet haben :)

  21. Vor mir die Welt… » Filmreif Says:

    [...] bin. Das Crunch in der Polk Street ist in einem ehemaligen Kino untergebracht, dem Alhambra. (Doris Duke hätte es geliebt und mich erinnerte es an ein anderes Ex-Kino.) Unten im Parkett finden jetzt die Fitnessklassen [...]