Aloha/Konnichiwa
Es gibt Tage, die einfach zu viel sind, zu voll, zu irre. Dieser war so einer. Ein Glück, dass ich ihn durch das Überfliegen der Datumsgrenze gleich doppelt hatte, sonst wäre er geplatzt.
Von China über Japan nach Hawaii. Zwischenlandung in Tokyo, mit schwerem Herzen. Denn immer noch tut es mir in der Seele leid, die Stadt übersprungen zu haben. Immer noch kommt es mir wie Verrat vor, sogar hier, auf den öden neongrauen Gängen des Flughafens Narita. „Wir können Sie nicht durchchecken, Sie müssen sich in Tokyo eine neue Bordkarte für Honolulu besorgen“, hieß es in Shanghai. Ich stolpere irgendwie, müde, unaufmerksam, in die Lounge der All Nippon Airways. „Guten Abend. Ich weiß, Sie sind gar nicht zuständig für mein Problem, aber vielleicht können Sie mir trotzdem helfen…“ beginne ich. Und sie helfen mir sofort, natürlich. Eine kümmert sich um meinen Weiterflug, die andere bringt mir schonend bei, dass ich für die USA ein elektronisches ESTA-Visum hätte beantragen müssen. Gott, wie blöd von mir, das habe ich wirklich vergessen. Alles kein Problem, ich darf hinter den Counter an ihren Computer; sie hilft mir weiter, wenn ich zu doof bin für den Windows-Rechner und versehentlich vom lateinischen auf das japanische Alphabet umschalte. Nach einer halben Stunde ist alles gut: Bordkarte, Visum, einen Tee hat es auch gegeben. „Also“, sagt die eine, „jetzt haben Sie alles, nicht wahr? Nur eines noch nicht: ein Souvenir aus Japan.“ Und zieht hinter ihrem Rücken ein Tütchen hervor. Darin Origami-Figuren, Fruchtbonbons, eine handgemalte Karte. „Dear Winnemuth Meike Mrs, have a nice flight.“ Ich bin in Tränen ausgebrochen. Die beiden Damen: furchtbar erschrocken, ob alles in Ordnung sei? Aber ja. Alles in Ordnung.
Vielleicht sollte ich einfach in Tokyo bleiben. Eine intensive Viertelstunde habe ich alles überschlagen, Organisatorisches bedacht, eine To-Do-Liste der Umplanung aufgestellt. Alles wäre machbar gewesen – aber das ist es ja stets. Alles geht auch immer anders, das ist das Mantra des Reisens; sonst müsste man keinen Fuß vor die Tür setzen. Aber ich war zu marode für eine Entscheidung. Stattdessen habe ich den halben Flughafenshop leergelauft. Einen bodenlangen Yukata in dunkelblau-weiß. Taschentücher. Sake. Irgendwelche Süßigkeiten. CDs. Was mitnehmen, ein bisschen festhalten an Japan. Lächerlich, aber das war alles, wozu ich in diesem Moment in der Lage war.
Und dann hält Japan an mir fest. Landung in Honolulu bei 30 Grad. Das Immigrationsformular: japanisch. Mein Leihwagen (dunkelblau – ehrlich, ich kann nichts dafür): japanisch. Die Dame am Leihschalter flucht kurz und herzlich, als ich ihr sage, dass mein Navi leider auch nur japanisch versteht. Zu viert – sie, ich, zwei korpulente Kunden – drücken wir ein bisschen darauf herum, flachsen ein bisschen. Jetzt versteht es Englisch (bei der Eingabe), spricht aber immer noch japanisch zu mir. Und ich finde es richtig so. Auch auf den Straßen, am Strand, im Supermarkt: Japaner. Die erste Maiwoche ist Golden Week, die japanische Urlaubswoche. Hawaii ist das Mallorca Japans, heute morgen sind im Halbstundentakt Maschinen aus Tokyo, Osaka und Nagoya gelandet. Die Speisekarten haben japanische Untertitel, die Busstationen japanische Schilder.
Und mir ist bei allem ganz giddy zu Mute. Es gibt keine gute deutsche Übersetzung: euphorisch? Schwindlig? Albern? Durchgedreht? (isabo: hilf). So, wie mir immer ist, wenn die Welt es wieder mal besser weiß als ich selbst.
Mai 2nd, 2011 at 09:03
Wow. Ein Souvenir vom Check-In, und dann auch noch mit Charme überreicht. Ich weiß schon, weswegen ich alles, was an Literatur, Musik und Kino aus Japan hierher schwappt, mit Begeisterung verschlinge. Und ich weiß auch, dass ich da hin möchte, irgendwann.
Schade, dass Sie es von Ihrer Reiseroute gestrichen haben. Schön, dass es nach hawaii nachgekommen ist.
Mai 2nd, 2011 at 09:05
Fürs Navi: Migi (leicht nasales g) = rechts; hidari = links. Hoffe, das reicht.
Tja, giddy. Oberste Übersetzungsregel: man kann keine Wörter übersetzen. Sätze manchmal. Texte eigentlich fast immer.
Und auf Hawaii würde ich Dich gern besuchen. In Tokyo sowieso. (Aber, come to think of it, das würde ich wohl überall.)
Mai 2nd, 2011 at 09:06
lustig, ich hatte mal die selbe route in umgekehrter richtung. zuerst hawaii, dann tokyo, dann shanghai.
hawaii ist seltsam unwirklich, es mischen sich im kopf die 50er jahre bilder mit den heutigen. eigentlich ist es furchtbar hässlich, aber verströmt doch einen seltsamen zauber, der einen fast betrunken macht.
solltest du zeit für einen abstecher auf eine nachbarinsel haben, kann ich big island sehr empfehlen, grossartige natur, unbedingt zu den vulkanen fahren, die immer leise oder laut vor sich hin spucken!!
gute reise!!!
bin mittlerweile seit 7 wochen wieder in deutschland und beneide dich glühend.
gabriele
Mai 2nd, 2011 at 09:13
Kennen Sie das jüdische Gleichnis: Ein Rabbiner lebte in einem kleinen Dorf. Eines Tages regnete es fürchterlich, das Erdgeschoss seines Hauses war bald überschwemmt. Ein Boot mit Mitgliedern seiner Gemeinde paddelte am Haus vorbei und wollte ihn mitnehmen: “Rebbe, steig ein, sonst wirst du ertrinken.” Der Rabbiner sagte: “Keine Angst, der liebe Gott wird mir schon helfen.”
In den nächsten Tagen hörte es nicht auf zu regnen, es stieg das Wasser bis in den zweiten Stock. Ein weiteres Boot kam vorbei: “Rebbe, steig ein, sonst wirst du ertrinken.” – “Der liebe Gott wird mich schon retten.” Es regnete immer mehr, aber der Rabbiner schickte auch das dritte Boot weg. Nach vier Tagen konnte der Rabbiner dem Wasser nicht mehr entfliehen. Er schaute in den Himmel und sagte: “Lieber Gott, ich habe dir doch vertraut, dass du mir helfen wirst”. Der liebe Gott antwortete: Dreimal habe ich dir Hilfe geschickt, und du wolltest sie nicht annehmen.”
Liebe Frau Winnemuth, mit Japan sind Sie offentlich noch lange nicht fertig.
Mai 2nd, 2011 at 09:20
Ich kommentiere jetzt hier zum ersten Mal, aber dieses entzückende Päckchen konnte mich nicht sprachlos zurücklassen. Ich kann verstehen, dass man da ein Tränchen verdrücken kann ! Und auch wenn Japan jetzt leider nicht stattfindet bin ich unglaublich gespannt auf die Berichte aus Hawaii….
Mai 2nd, 2011 at 09:24
Ohje, da bin ich eben beim Lesen an der richtigen Stelle auch in Tränen ausgebrochen. Wäre ich “in echt” auch, aber wie. – Nun soll es nur noch schön sein auf Hawaii, und Japan läuft ja nicht weg!
Allerschönste Grüße aus Hamburg, immer noch sonnig, immer noch trocken, seit vielen Tagen, aber mit der Aussicht auf Bodenfrost in den nächsten Nächten.
Mai 2nd, 2011 at 10:03
Auch ich lese schon lange, aber kommentiere das erste Mal. Denn auch mir ging es gerade eben so: Ich hätte beinah mitgeweint. Danke, dass Sie uns so ehrlich und nah teilhaben lassen. Und nun ganz viel Spass auf Honolulu, ich werde weiterhin “mitreisen”!
Mai 2nd, 2011 at 10:18
E komo mai (willkommen) auf Oahu und viel Spaß, in diesem Jahr ist die “Golden Week” für den hawaianischen Tourismus leider nicht golden, aufgrund des Unglücks in Japan sind viele Touristen ausgeblieben. Honolulu ist allerdings Top 1 , was die japanisches Hochzeitsträume angeht. Wenn Sie mal Lust haben, gehen Sie zum Hotel Halekalani, ( Obama liebt es auch) , dort kann man im Minutentakt japanische Brautpaare mit ihren Stylisten sehen.Außerdem gibt es dort jeden Abend einen schönen Hula unter einem alten Monkeypod Baum zu sehen.
ich bin seit gestern wieder in Deutschland und vermisse schon jetzt Maui .
Mai 2nd, 2011 at 10:26
@Bettina: danke für den Tipp! Da schlendere ich bestimmt mal rüber, ist nur ein kurzer Spaziergang von meinem Apartment.
Mai 2nd, 2011 at 10:32
In Honululu habe ich vor 15 Jahren japanische Ramen-Nudelsuppen kennengelernt. Zur gleichen Zeit wurde meine Nichte Pia Marikko in Tokio geboren. Leider konnte ich damals nicht hinfliegen. Statt dessen habe ich mich über die vielen spitzen Steine im Meer vor Waikiki-Beach geärgert. Sind die spitzen Steine eingentlich immer noch da?
viele Grüße
Nelly
Mai 2nd, 2011 at 10:53
Liebe Meike, auch ich sitze hier mit Tränen in den Augen…Aber wie viele vor mir schon sagten, Japan ist ja nicht weg, nur nach hinten vertagt sozusagen. Ich hab ja schon ihren “Das Kleine Blaue” Blog gelesen (und damals das knallgrüne Tuch von Ihnen bekommen) und bin immer noch begeistert über Ihre Art zu schreiben. Mittlerweile fragt selbst mein Freund “Na was hat denn Frau Winnemuth heute erlebt?” Sie bewegen also was bei den Menschen. Danke dafür…
“Und: お幸せに! o-shiawase ni – Viel Glück”
LG
Doreen
Mai 2nd, 2011 at 13:03
Jetzt reicht’s. Ich bin total neidisch und möchte auch weg. Jetzt sofort. Nach Hawaii. Da war ich noch nicht, möchte aber sowieso hin. Weil’s da Ukulelen gibt. Und Strand. Und Palmen. Und Surfer. Oder gerne auch Tokyo. Wegen Japan. Und sowieso.
Menno.
Mai 2nd, 2011 at 16:44
giddy = hibbelig waere mein bester versuch
Mai 2nd, 2011 at 17:21
Liebe Meike,
beim lesen des unbeschreiblich tollen Berichts habe ich Gänsehaut bekommen und mir stehen die Tränen in den Augen als ich das Geschenk sah und den Bericht gelesen habe. Ich kann die Emotionen sehr gut verstehen! Es zeigt wie so oft im Leben, dass keiner wirklich weiss, was richtig ist, oft zeigt es sich erst so viel später im nachhinein. Viel Spaß auf Hawaii mit sehr berührenden japanischen Eindrücken im Herzen. Alles Liebe Sandra
Mai 2nd, 2011 at 19:41
liebe meike
wer hat die karte gemalt?
wie schön.. ich habe auch tränen in den augen…und japan.. das war/ ist vernunft.. und auch die darf manchmal sein..
das land läuft doch nicht weg…
wer weiß, was die reise noch bringt:o)
ganz viel spaß
lg
nico
Mai 3rd, 2011 at 02:19
Der Bericht geht an Herz und Nieren; ich hatte auch einen Kloß im Hals beim Lesen und meine Äuglein schwitzten. Das sind glückselige Momente, die man nie vergißt!
Zufällig fiel mir heute das kleine Blaue wieder ein und so landete ich hier, aber irgendwie komme ich mit der Chronologie der Beiträge noch nicht ganz zurecht. Allein die vielen Aloahs irritieren mich und weil sie sich mit den Städten irgendwie kreuzen. Naja, ich komm schon noch dahinter.
Jedenfalls bin auch ich seit der WWM Sendung ein stiller Mitleser und gluckse bei der trefflichen Eloquenz und dieser himmlischen Gabe der ironischen Selbstreflexion imemr vergnügt vor mich hin.
Liebe Grüße nach Hawaii und grüßen Sie Magnum und Higgins lieb von mir, wenn Sie sie sehen! *g
Mai 3rd, 2011 at 10:19
Ich muss hier immer weinen. Zumindest bei solchen Beiträgen.
Und ich möchte Sie auch besuchen! Notfalls tut’s auch Hamburg.