Brückentag

Morgen ist Qing Ming Jié, der chinesische Totengedenktag. An diesem Tag werden traditionell die Gräber der Ahnen gefegt, aber die ganze Sache ist bei weitem lustiger als unser Totensonntag. Ich hatte schon in Sydney darüber geschrieben: Es ist eine Art Party an Opas Grab, man hockt lustig mit einem Picknickkorb und ein paar Sixpacks zusammen. Um aus dem Feiertag einen dreitägigen Kurzurlaub zu machen, haben die meisten am Samstag vorgearbeitet, um heute, am Montag, einen schönen Frühlingstag in den Parks und Shoppingcentern zu verbringen. Im Jing’an-Park herrscht ausgelassene Karaoke-Stimmung, die Kinder kollern die Hänge hinunter, die Erwachsenen fotografieren sich vor blühenden Magnolien und essen ein erstes Eis nach einem langen Winter.

Auch im Jing’an-Tempel ist die Stimmung aufgeräumt. Räucherstäbchen werden abgebrannt, Äpfel vor der sechs Meter hohen Bodhisattva-Statue aus Kampferholz abgelegt, gemeinsam Alufolienkistchen für die Grabgaben morgen gebastelt – und der Herr oben rechts hat mir beigebracht, wie man Yuan-Münzen in den großen Bronzepott wirft, zu Ehren Buddhas. Immer wenn es jemand schafft, brandet bei den Umstehenden dezenter Tor-Jubel auf. Warum machen andere Religionen eigentlich immer mehr Spaß als unsere?

Bezaubernderweise ist ein Flügel des Tempels zu einer Shoppingzeile umgebaut – eines der Geschäfte ist bis unter die Decke mit Luxus-Taschen vollgepackt, Louis Vuitton, Gucci, Prada, alles dabei. Ich hatte sie für gut gemachte Fakes gehalten, bis ich eine Birkin Bag aus dem Regal zu nehmen versuchte. Ein Verkäufer fiel mir in den Arm und reichte mir ein Paar weiße Handschuhe. Damit durfte ich das gute Stück anfassen. Vorsichtig. Ich fragte nach dem Preis (okay: ich hob fragend die Augenbrauen…) und er tippte 96.000 in seinen Taschenrechner. 10.300 Euro. Ooookay, vielleicht ja doch eine echte. (Und bevor hier eine Debatte losbricht: Ich werde weder eine echte noch eine gefälschte kaufen. Ich beeile mich zu sagen: Eine gefälschte schon gar nicht. Ich finde die wirklich toll, aber letztlich ist es ein Stück Leder mit Henkeln.)

Auch sonst werde ich nicht arm in Shanghai. In den Geschäften hängen die Größen 34 und 36. An sehr guten Tagen, bei eingezogenem Bauch und wenn der Wind günstig steht, passe ich vielleicht ausnahmsweise mal in eine 36, derzeit aber eher nicht. Trotzdem ein großes Vergnügen, mit einer Stella McCartney-Verkäuferin ein komplettes Verkaufsgespräch gestikulierend zu führen. Ich: Das würde ich gern anprobieren. (Jacke vor mich haltend.) Sie: Folgen Sie mir. (Winkend.) Ich: Das ist mir zu klein. (Auf die zu kurzen Ärmel zeigend.) Sie: Wollen Sie es in 38 probieren? (Die Zahl 38 in die Luft malend.) Ich: Gern. (Nickend.) Sie: Oh, tut mir leid, wir haben es nicht mehr in der Größe da. (Den Computer checkend und bedauernd den Kopf schüttelnd.) Ich: Schade. (Schulter zuckend.) Beide: Lächeln. Ich: 谢谢. (Danke.) Frau sein in der Welt ist so einfach.

13 Antworten to “Brückentag”

  1. Tina aus OWL Says:

    Auch ich kann immer wieder nur “Xie xie” zu Ihnen und Ihrem tollen Blog sagen!!!

  2. Franka Says:

    Und erst in Größe 34!

    Gruß!
    (Größe 38 – Tendenz 40!)

  3. Claudia L. Says:

    Ein Teufelskreislauf…im asiatischen Raum passt uns selten die Kleidung/Schuhe und deshalb weichen wir auf´s Essen aus. Irgendetwas muss man sich doch gönnen. Schwuppdiwupp ist dann eine gut sitzende und eigentlich zufrieden stellende Gr. 38 eine 40 ;-)

  4. Uschi aus Aachen Says:

    *kicher*

  5. Toni Says:

    Ja, warum machen andere Religionen so viel mehr Spaß als unsere? Das frag ich mich auch oft. Mit dem Katholizismus kenne ich mich nicht aus, aber ich finde, es gibt nichts humorfreieres und langweiligeres als evangelische Gottesdienste, Taufen, Hochzeiten und so weiter. Schlimm.
    Größe 36…wow. Ich beneide Sie. Glühend.

  6. Astrid Says:

    Wie auf den Philippinen, dort ist Allerseelen immer Party angesagt, mit Picknick und Ghettoblastern auf den Gräbern der Verwandten. Kinder toben rum, es wird gelacht und gesungen.

  7. LvO Says:

    Das Glueckskeks-Orakel hatte also wieder mal recht: Be patient if some luxuries are out of your reach…:-)
    Zum Trost darf ich Dir sagen: Bald wirst Du einen Schneider Deines Vertrauens finden, dem Du gut zu tun geben wirst. Hugh. So kann man das Groesse 36-Problem ein wenig lindern. Schoenen Toten-Dienstag weiterhin!

  8. Sonja Says:

    @Toni: Doch, gibt es. Katholische!
    Und der Frage, warum andere Religionen immer so viel mehr Spaß machen als unsere, schließe ich mich an. Das ist einer meiner Lieblingssätze bisher in Ihrem Blog, Meike!
    Weiterhin viel Spaß beim Reinschnuppern in Religionen, Kleider, Taschen, Restaurants, Glückskekse und alles, was sonst noch in Reichweite ist!

  9. Claudia H. Says:

    Danke Frau W. für Ihre Eindrücke! Wie kommen Sie überhaupt mit dem Jetlag klar?

  10. Petra Says:

    Bei Größe 36 fällt mir doch der Fettlolly wieder ein. Schon probiert??

  11. Elisabeth Says:

    Spaß und Religion: in meiner Kindheit lernte ich bei uns im schwatten katholischen Emsland den Spruch kennen : “Op de Beerdigung mot Spass sien, sunst kummt kieneenen”.
    Und so traurig Beerdigungen sind, es sind doch immer großartige Familientreffen. Mit viel Kööm.

  12. meike Says:

    @Claudia: Zwischen Indien und China sind’s nur zweieinhalb Stunden, das merkt man gar nicht. Ansonsten: Das tun, was alle raten. Tagsüber viel draußen sein, versuchen, möglichst schnell in den neuen Rhythmus reinzukommen. Bei dem Riesensprung von Buenos Aires nach Mumbai hatte ich ein paar Probleme, da hilft dann Melatonin, frei verkäuflich in den USA und gottlob auch in Argentinien. Das funktioniert aber nicht bei jedem.
    @Petra: Yep. Es ist Tofu am Stiel. Kann man machen, kann man lassen.

  13. claus Says:

    hallo s.g. frau winnemuth

    – ergaenzend zu ihrer aussage in ihrem blog-eintrag von heute, dienstag 05. april:

    (zitat): ““.. warum machen andere religionen eigentlich immer mehr spass als unsere? .. ““ (ende ihres zitats)

    natuerlich – wir leben ja in einer spassgesellschaft…. (!)

    und ? – hat jesus gelacht?

    im neuen testament steht kein einziges wort darueber, dass jesus gelacht hat. obwohl es im evangelium ja ““die frohe botschaft’““ heisst (!?) fragt man sich doch, warum da nicht gelacht wird?

    was seine emotionen betrifft, so werden einige erwaehnt. es.. gibt es die hochzeit zu kanaa, wo er auch wein getrunken und gefeiert haben soll.

    gewisse menschliche emotionen sind eindeutig ueberliefert, also muesste er auch gelacht haben.

    aber es gibt keine eindeutigen ueberlieferungen. eine theorie besagt, dass diejenigen, die die evangelien geschrieben, ueberarbeitet und uebersetzt haben, jesus lachen für nicht wichtig .. empfunden haben..

    ( frei nach: harald-alexander korp – philosoph und religionswissenschaftler )