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Wenn ich mal groß bin…

Sonntag, 4. September 2011

…wäre ich immer noch nicht groß genug für so einen Kamin. Er steht im ersten Stock von Vinçon, dem legendären Designgeschäft auf dem Passeig de Gràcia. Ich habe mich allen Ernstes für eine Viertelstunde in den Eames-Chair vor dem Kamin gesetzt (nein, das ist keine Vitra-Miniatur) und nur geguckt.

Selbst wer sich nicht so für Möbel interessiert: Die Schaufenster von Vinçon sind allein schon den Besuch wert. Und von der gigantischen Terrasse, ebenfalls vom ersten Stock aus zu erreichen, schaut man auf die Hinterseite von Gaudís La Pedrera.

Vinçon, Passeig de Gràcia, 96, 08008 Barcelona

Abgefahren

Montag, 29. August 2011

In meinem Reisebudget steckt eine bislang unangetastete Summe für besondere Ausgaben. Unangetastet bis heute nachmittag. Denn nachdem ich gestern schon sabbernd um den Laden von Søren Sögreni herumgeschlichen bin, war ich heute reif. Zu Beginn der Reise hatte ich mal den Plan, mir während meines Londoner Monats einen Anzug in der Savile Row maßschneidern zu lassen, ein alter Traum. Ich hab’s gelassen, weil ich mir im Lauf des Jahres ein paar Kilo angefressen habe – macht derzeit wenig Sinn, sich auf diesen Leib was schneidern zu lassen. Some other time. Stattdessen: Plan B. Ein maßgeschneidertes Rad erträgt jede Gewichtsfluktuation.

Ebenso wie in der Savile Row beginnt alles mit dem Vermessen. Die Beinlänge wird ermittelt, der Rahmen ausgewählt, Reifenstärke, Anzahl der Gänge. Søren, der seinen Laden vor 30 Jahren gegründet hat (hier ist seine Geschichte) setzt sich mit mir eine Stunde an den Tisch, springt zwischendrin auf, um Materialproben zu holen, scheucht mich vor die Tür zu einer Probefahrt auf seinem eigenen Rad, weil wir in etwa eine Beinlänge haben, rät ab von neun Gängen („brauchst du nicht“), debattiert das Für und Wider der wahnsinnig schönen Holzschutzbleche. Ergebnis: ein Rad mit Unisex-Rahmen in dunkelblau matt mit honigfarbenem Brooks-Sattel und Ledergriffen, mit Kupferblechen und Kupferklingel, die bald aufs Schönste matt patinieren werden (ich: „Kriegen die grüne Patina wie Kirchendächer?“ Søren: „Nur wenn ich drauf pinkle“), mit drei Gängen von Sachs („Shimano ist Mist, das ist das Microsoft der Gangschaltungen“) und mit einem hohen Lenker, denn ich sitze gern gerade auf dem Rad. Die bauen das jetzt in aller Ruhe und nächstes Jahr hole ich es ab. Es wird das schönste Rad der Welt.

Und wie es der glückliche Zufall will, ist Søren Kuba-Spezialist. Er war schon oft dort, er wird Anfang nächsten Jahres mehrere Radtouren über die Insel führen und er wird mich vorher mit jeder Menge Geheimtipps versorgen für meinen Havanna-Monat. Es war ein sehr glücklicher Nachmittag.


Sögreni of Copenhagen, Sankt Peders Stræde 30A, 1453 København K

Rush Hour

Freitag, 5. August 2011

Irgendwas kam mir gleich merkwürdig vor in meiner Straße. Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich es verstanden habe: Es gibt kaum Autos. Jede beliebige deutsche Innenstadtstraße wäre zu jeder beliebigen Zeit zugeparkt, und hier: Leere. Fast unheimlich, wenn es nicht so schön wäre. Die Erklärung kam gestern von Agnes. Es ist nicht etwa die Ferienzeit, wie ich vermutete, sondern die Tatsache, dass bei jeder neuen Autozulassung bis zu 180 Prozent Luxussteuer erhoben werden (die Autopreise sind allerdings auch etwas niedriger als bei uns). Kein Wunder, dass ich hier in der Stadt oft so ein Sechziger-Jahre-Gefühl habe: Nicht jede Familie hat ein Auto und schon gar nicht zwei. Wer jetzt fragt: Aber wie bringe ich denn mein Kind zum Kindergarten?, dem sei geantwortet: Du bringst es einfach zu Fuß zwei Straßen weiter. Oder runter in den Hof. Selbst (oder gerade) eine so schicke Wohnanlage wie das 8 House hat selbstverständlich eine Kindertagesstätte (Betonung auf Tag) mittendrin.

Dieses Zeitreisen-Gefühl gibt es auch in anderer Hinsicht: Geschäfte öffnen um 11 und schließen um 17 oder 18 Uhr, einige Museen haben nur von 11 bis 15 Uhr geöffnet. Gearbeitet wird in der Regel bis 16 Uhr, Agnes’ Mann kann auf diese Weise oft auf dem Heimweg den Vierjährigen vom Kindergarten abholen.

Und auch die Eisschilder: wie damals, als es nur Cornetto, Happen und Domino gab.

Hjerteligt velkommen

Montag, 1. August 2011

TOP 1: ein Fahrrad. Ohne geht es hier gar nicht. Dieses (sieben Gänge, bisschen schwach auf der Bremse, dafür Rücktritt) habe ich für einen Monat von Baisikeli gemietet, weil ich deren Idee so bestechend finde: Sie vermieten gebrauchte Räder, der Erlös dient dazu, den Export und die Reparatur schrottreifer Räder für Mozambique und Sierra Leone zu finanzieren, wo Mobilität entscheidend ist, um zur Schule oder zum Krankenhaus gelangen zu können.

Die Radwege hier sind wie vierspurige Straßen, so was Breites habe ich noch nie gesehen. Völlig unnötig, das Rad mit einer fetten Panzerkette anzuschließen, meinte der Typ vom Radladen; das Speichenschloss reiche hier völlig. „Räder werden hier nicht geklaut. Jedenfalls nicht unsere.“

TOP 2: zu Royal Copenhagen in der Strøget. Meine Kanne hat was Kleines bekommen (2. Wahl, aber seit London geht Tee ohne Milch nicht mehr).

Und weil ich schon mal in der Nähe war: Illums Bolighus. Ein multipler Orgasmus auf vier Etagen. Ich kannte das schon von meinem einen Kopenhagen-Besuch im Winter vor zwei Jahren: skandinavisches Design – Möbel, Haushaltswaren, Stoffe – bis unter die Decke, man möchte jedes einzelne Stück haben. Es ist die Hölle. Ich habe es tatsächlich geschafft, eine Stunde sabbernd hier durchzutaumeln, ohne auch nur ein Stück zu kaufen. Nicht mal den Wassermelonen-Fahrradhelm. Übermenschlich.

Illums Bolighus, Amagertorv 10, 1160 København

Eine Zufallsentdeckung: das älteste Café der Stadt, Konditori La Glace. Eigentlich bin ich hier nur hängengeblieben, weil das Schaufenster so bizarr dekoriert war. Offensichtlich hat der Konditor Strickmützen und -kissen nachgebacken, die hier von einem Handarbeitskränzchen gestrickt wurden. Alles ziemlich bezaubernd, und der Kuchen ist auch nicht übel.

Konditori La Glace, Skoubogade 3, 1158 København, täglich 8.30 Uhr bis 17.30 Uhr, im Sommer sonntags geschlossen (denn die Bäcker müssen ja auch mal an den See)

Glückssache

Montag, 27. Juni 2011

Ein Geheimtipp, den jeder kennt, eine Touristenfalle, aber eine niedliche: die Golden Gate Fortune Cookie Factory in einer kleinen Gasse in Chinatown. Eines von diesen Dingen, an denen man einfach nicht vorbeigehen kann, ohne einmal die Nase reingesteckt zu haben. Glückskekse sind eine kalifornische Erfindung, bis in die Neunziger kannte man sie in China gar nicht. Die Damen falten hier mit sagenhafter Geschwindigkeit Weissagungen in die noch warmen Kekse, jede schafft pro Stunde 1000. Und wie es duftet!

Golden Gate Fortune Cookie Factory, 56 Ross Alley, San Francisco, CA 94108

…oder schläfst du schon?

Donnerstag, 28. April 2011

BILLY. KLIPPAN. LACK. Köttbullar. Hotdogs. Alles da, alles wie zuhause. Bis auf die Chinesen, die hier wohnen. Richtig wohnen: Sie schlafen eine Runde auf dem RÖRBERG-Sofa, sie nehmen ein kleines Picknick in der FAKTUM-Wohnküche ein und arrangieren anschließend noch schnell die Bilder um. Shanghai hat angeblich den größten Ikea Asiens, auch an einem Wochentag ist der Laden voll. Im Restaurant gibt es außer Köttbullar zwar auch Fried Beef with Hot Pepper and Rice, aber die meisten essen lieber Mandeltorte (mit Gabeln natürlich). Billig ist es hier übrigens nicht: Der LACK-Couchtisch, in Deutschland 4,99 Euro, kostet hier umgerechnet 4,15 Euro. Der Hotdog dafür aber nur 35 Cent.

Einen im Tee

Montag, 25. April 2011

Abwarten ist nicht nötig, um in China Tee zu trinken. Die hiesige Methode der Zubereitung ist nämlich deutlich fixer als die anderer Teenationen. Zunächst: Das Foto oben links täuscht. Das Tässlein vorn rechts hat etwa den Durchmesser von zum Kreis geschlossenem Daumen und Zeigefinger. Machen Sie das gerade? Gut. Das Kännchen entsprechend: Puppenstubenformat. Die linke, höhere Tasse ist ein Riechtässchen, es wird beim Servieren des ersten Aufgusses in die Trinktasse gestülpt und einem dann zum Schnuppern des Aromas unter die Nase gehalten.

Die Zubereitung funktioniert folgendermaßen: Das Tonkännchen wird mit großzügigen sieben Gramm Teeblättern gefüllt, in diesem Fall einem Oolong Tienguanyin. 100 Milliliter kochendes Wasser (es ist Oolong! Bei grünem Tee 75 Grad) werden darüber gegossen, der Tee zieht 30 Sekunden und wird dann in den kleinen Glaskrug abgeseiht. Das Ganze kann man bis zu zehnmal wiederholen. Und so war es auch heute im Song Fang Maison de Thé: Immer wenn der Krug leer war, trat die reizende Dame rechts mit einer Kanne heißen Wassers an den Tisch und goss erneut auf.

Das Song Fang ist eher ungewöhnlich für Shanghaier Teehäuser, es wird betrieben von einer Französin mit Sinn für Design – es gibt ein eigenes Geschirr mit hübschem Retro-Logo – und ohne Scheu vor steilen Preisen, besonders im Shop; das Café ist bezahlbar. Es existieren inzwischen drei Filialen, die in der French Concession ist aber die netteste. Unten gibt es den Teeladen, in den oberen zwei Etagen sitzt man unter Vogelkäfigleuchten auf rotgeblümten Polstern.

227 Yongjia Lu, in der Nähe der Shaanxi Nan Lu

Mal wieder blau

Montag, 25. April 2011

Hier muss es irgendwo sein. Die Adresse stimmt. Aber wo…? Die Gasse hinein, einem verblassten Schild folgen, zweimal um die Ecke biegen, dann durch ein vergittertes halbrundes Tor: hier. Auf den Wäscheleinen trocknen Tücher in allen Größen, man duckt sich unter ihnen durch und erreicht: The Chinese Hand Printed Blue Nankeen Exhibition Hall. Blue Nankeen ist eine gut eintausend Jahre alte Handwerkskunst, blauweißer Stoffdruck. Eine Sojapaste wird mit Schablonen auf den Stoff aufgetragen, das Ganze in Indigo gefärbt, die Paste dann abgekratzt. Neben dem rummeligen kleinen Laden, der Jacken und Tischtücher in allen möglichen Mustern verkauft, gibt es eine sehr schöne Sammlung von alten Nankeen-Stücken, zusammengetragen von der japanischen Künstlerin Kubo Mase.

Und: klar. Blaues Hemd gekauft, musste sein.

The Chinese Hand Printed Blue Nankeen Exhibition, Nr. 24, Lane 637, Changle Lu

Faketown

Montag, 25. April 2011

In einem Nebengang des vierstöckigen Fake Market hängt diese Notiz in einem Glaskasten. Ob es eine Anleitung zum Fälschen oder ein Verbot ist, weiß ich nicht – zumal ja jedes Verbot einen gewissen Aufforderungscharakter in sich birgt. Besonders in Shanghai: Gefälschte Taschen, Sonnenbrillen, T-Shirts gehören zum Stadtbild, die Ausbeute unten habe ich innerhalb einer halben Stunde gesammelt.

Am meisten interessieren mich dabei die Fälle, in denen die Anmutung von Luxus durch wildes Zusammenmixen von Labeln erzeugt wird. Das Louis-Vuitton-Karomuster im Miniformat mit pradaeskem Metallschild links oder die Gucci-typischen Trensen und Steigbügel im Vuitton-Stil rechts, da dreht der Label-Wahn dann mal amüsant durch.

Aber zurück zum Fake Market. Wer hier kaufen will, braucht vor allem starke Nerven. Es ist ein Spießrutenlaufen durch die Stände, und jeder, wirklich jeder Standbesitzer, kobert einen an. Hello lady, want bag? Hi lady, watch? Rolex! Want sunglasses? Hey lady, beautiful bag? Lady, Louis Vuitton, Prada, Gucci? Hello lady, bag! Lady! Anfangs schüttelt man nur den Kopf, aber ziemlich schnell muss man es einfach nur ignorieren und gehen, gehen, gehen, sonst wird man aggressiv. Ich habe den Sinn von Fakes nie verstanden und in Shanghai verstehe ich ihn noch weniger. Glaubt wirklich irgendeiner, dass er durch Tragen von offenkundlich nachgemachtem Schrott in der Achtung seiner Mitmenschen steigt? Gerade wenn Fälschungen so ubiquitär und inflationär sind wie hier, welche Bedeutung haben die Labels dann noch? Als Statussymbol taugen sie nicht mehr, nur noch als Zeichen dafür, dass man gern etwas hätte, was man nicht hat. (Über Sinn oder Unsinn von Luxuslabel im allgemeinen diskutieren wir dann ein andermal, ja?)

Nein, ich habe tatsächlich nichts gekauft, gar nichts. Aber am Ende bin ich doch kurz stehengeblieben, bei Hey lady, what do you want? Ich musste lachen. Großartige Frage, die ich mir oft selber stelle.

Wer es trotzdem nicht lassen kann: Fake Market, offiziell: Han City Fashion & Accessories Plaza, Nanjing Road West 580

Fest im Griff

Sonntag, 3. April 2011

„Wenn du nach Shanghai kommst, gehst du sofort zu Dragonfly und lässt dir eine einstündige chinesische Massage verpassen. Gefolgt von einer einstündigen Fußmassage.“ Diesen Rat gab mir jemand in Delhi mit auf den Weg, und zu so was lasse ich mich nicht lange bitten. Zumal eine chinesische Tuina-Massage so ziemlich das Härteste ist, was man sich antun kann. Ich bin kein Freund von laschem Wellness-Gestreichel, ich finde, Masseure sollen ordentlich hinlangen. Hinterher möchte ich bitte mindestens einen Muskelkater haben.

Bei Dragonfly bekommt man als erstes einen flotten Anzug verpasst, siehe links, der auch während der Massage nicht abgelegt wird. Im Gegenteil, zusätzlich wird man mit Handtüchern abgedeckt – und trotzdem fühlt man jeden einzelnen Stahlfinger des Masseurs, der sich zielsicher in die Verknotungen bohrt. Nach einer Stunde Tortur bekommt man zur Belohnung lavendelduftende heiße Handtuchrollen auf den Bauch und in den Nacken gepackt, während an den Füßen weitergearbeitet wird. Ich wankte danach raus und habe sofort eine Mitgliedschaft beantragt. Zwei-, dreimal die Woche werde ich mindestens kommen, soviel ist klar. Auch die Öffnungszeiten: spektakulär. Jeden Tag bis 2 Uhr nachts, notfalls auch länger. Man erzählte mir, dass sich mal ein gejetlagter Tourist um 1 Uhr nachts massieren ließ und dabei einschlief. Sie haben ihn einfach liegen lassen, bis er gegen 5 Uhr wieder aufwachte.

Dragonfly, verschiedene Locations, hier: Rm 213, Kerry Centre, 1515 Nanjing (W) Rd., Shanghai 200040

Mindestens genauso irre, wenn auch auf ganz andere Weise irre: der Cityshop im Shanghai Centre gegenüber. Das ist eine Supermarktkette, die sich auf heimwehkranke Expatriates eingeschossen hat. Ich habe in den Regalen neben französischem Käse und amerikanischer Erdnussbutter Ehrmann-Quark, Haribo-Gummibären und das gesamte deutsche Reinigungsprogramm entdeckt. Essig-WC-Reiniger? Echt, ist es das, was man hier am meisten vermisst?