Blog Archives

Sprachlos

Dienstag, 12. Juli 2011

Neue Heimat 7 1/2

Montag, 11. Juli 2011

Aus der Serie „Dolle Häuser, die dringend noch von mir bewohnt werden wollen“ habe ich mir für die nächsten Tage dieses hier ausgesucht:

Es steht in Suffolk, innen ist es auch ganz nett – allerdings könnte das Internet ein bisschen shaky sein. Wenn ich also nichts von mir hören lasse, ist entweder das Netz abgestürzt oder das Haus.

Gute Nacht

Sonntag, 10. Juli 2011

Gestern bin ich ins Theater gegangen. Dafür brauchte ich dringend neue Garderobe. Also zu Marks & Spencer in die Herrenabteilung, wo es die weltbesten Pyjamas gibt, Stücker 15 Pfund. Gestreift? Kariert? Ich entschied mich für einfarbig (blau, klar).

Moment mal, im Pyjama ins Theater? Der absolut passende Dresscode für die Performance Lullaby der Südlondoner Theatertruppe Duckie, die nichts anderes versucht, als das Publikum so schnell wie möglich in den Schlaf zu singen. Man checkt um 10.30 Uhr im Barbican ein, zieht sich in der Umkleide Nachthemd und Plüschpuschen an, bekommt eine heiße Schokolade im Foyer serviert und wird dann zu seinem Platz gebracht. In diesem Fall: ins Bett. Im Barbican Pit stehen rund um eine kleine Bühne 50 Einzel-, Doppel- und Dreierbetten. In dem neben mir liegen drei kichernde Franzosen, ein Mann und zwei Frauen. Auf jedem Nachttisch eine Wasserkaraffe und ein Beutelchen mit Lavendelseife, Schlafmaske und Ohrenstöpseln.

Auch die anderen Besucher waren festlich gewandet: rot-grüne Pyjamahosen mit Aliens und Robotern, rosa Polyesterrüschen-Nachthemden, Band-T-Shirts aus den späten Achtzigern, Snoopy-Shorts, es war alles dabei. Eine Frau kuschelte mit ihrem Stoffhasen, ein Pärchen stritt leise.

Die Show selbst war zum Gähnen – genau das wollte sie ja auch sein. Somnambul tanzende Tintenfische, ein wandelndes Stoffhaus mit Watterauch aus dem Schornstein, eine zaubernde Ente, die vergeblich einen Luftballon mit dem Zylinder zu fangen versuchte – „Dream food“ nennen die Performer das, Bilder wie direkt aus dem Kinderfernsehprogramm, die hoffentlich später zu Träumen werden. Dazwischen Gute-Nacht-Geschichten mit Fragen, die man mit in den Schlaf nehmen konnte („Wenn du aus etwas anderem als Fleisch bestehen könntest, was wäre das? Wärst du lieber ein Jahr blind oder ein Jahr taub?“) und Musik, die nur auf den weißen Tasten des Klaviers komponiert ist. Angeblich besonders beruhigend, weil es dieselben Noten sind, die Spieldosen verwenden.

Was diese Idee so unwiderstehlich charmant macht, ist die Freundlichkeit, mit der man hier betüdelt wird. Für die meisten ist es ja schon ein paar Jahrzehnte her, dass sie zuletzt liebevoll in den Schlaf gesungen wurden, einige haben es vielleicht nie erlebt. Aber jeden trifft es an einem wohlig warmen Fleck mitten im Herzen. Ich war jedenfalls noch vor der Pause, in der Betthupferl und warmer Brandy serviert werden sollten, selig eingeschlafen. Das letzte, an das ich mich erinnern kann, waren fliegende weiße Stoffquallen über unseren Köpfen. Oder habe ich das schon geträumt?

Aufgewacht bin ich davon, dass ein kleines Gehege mit tschilpenden Küken in die Mitte des Raums getragen wurde. Unglaublich, tatsächlich schon halb acht! Das Licht wurde langsam von magenta über orange auf gelb hochgefahren, die Bühnensonne ging auf, alle räkelten sich in den Betten. So ein gemeinsames Aufwachen unter Wildfremden ist ganz wunderbar. „Did you dream?“ fragt mich eine der Französinnen von nebenan, und der Mann auf meiner anderen Seite erzählt, dass er erst um halb vier eingeschlafen ist, weil er unter der Bettdecke Videogames auf dem Handy gespielt hat wie ein Zehnjähriger. Er rekapituliert, was ich gestern Nacht verpasst habe: Vorträge über das menschliche Nervensystem und seine Verbindung zum pythagoräischen Modell des Weltalls – eigentlich unmöglich, bei so was wach zu bleiben, aber er hat es geschafft.

In der Theaterkantine war schon das Frühstück aufgebaut: Toast und Croissants, weiche Eier und Orangensaft, Tee. Und überall nur das, was man sonst morgens selten sieht: lächelnde Gesichter.

Duckie’s Lullaby, Barbican Pit, bis 24. Juli. Der Eintritt beträgt 42 Pfund – damit ist dies der beste Bed & Breakfast-Deal von ganz London.

Was auf die Ohren

Freitag, 8. Juli 2011

Konzerte für lau: Beim iTunes-Festival, das derzeit in London stattfindet, spielen tolle Leute. Wer kein Glück bei der Vergabe der kostenlosen Karten hatte (wie ich), guckt in den Tagen danach das Ganze im iTunes-Store. Gestern Adele, neulich Seasick Steve.

Willkommen im Club

Freitag, 8. Juli 2011

Als ich vor ein paar Jahren mal eine Zeitlang in Brooklyn wohnte und mich meine New Yorker Freundin Sarah mit einem Mann verkuppeln wollte, pries sie ihn so an: Investmentbanker, superreich, frisch geschieden – und Mitglied des Knickerbocker Club. An all dem interessierte mich eigentlich nur letzteres: Ich habe eine Schwäche für alte Clubs, ich mag die getäfelten Räume, die knarrenden Dielen, das Ticken der Standuhren, das Rascheln der Zeitungen, das in der Regel fürchterliche Essen im Club-eigenen Restaurant. Die Idee eines third place, eines Ortes zwischen Arbeitsstätte und Zuhause, hat mir immer eingeleuchtet. Ich finde, man braucht solche Dekompressionskammern zwischen Nicht-mehr-da und Noch-nicht-hier, feste Orte für Gespräche, die sich um anderes drehen als die Banalität des Alltags oder die Banalität der Arbeit.

Aus dem Knickerbocker-Mann und mir wurde natürlich nichts (er fand sich spannender als mich, was in seinem Fall eine grobe Fehleinschätzung war), stattdessen suchte ich mir einen eigenen Club, den Montauk Club in Park Slope, und wieselte mich dort als Mitglied ein. Ich erzählte dem Auswahlkommittee, dass ich das Haus zum Schauplatz eines Romans machen wolle (aus dem dann auch nichts wurde – hm, fällt mir jetzt gerade wieder ein, könnte man ja eigentlich…) und dass ich mich deshalb ein bisschen umsehen müsse. Das genügte ihnen, und fortan stand ich ein paarmal in der Woche gegen sechs an der Bar neben anderen Clubmitgliedern, die mit Aktentaschen oder Einkaufstüten neben sich Gin Tonics tranken („easy on the tonic, please“) und den peruanischen Barmann Antonio zwangen, frisch gekaufte CDs abzuspielen, gern „The Mamas & the Papas“. Es waren die – zumindest vor diesem Jahr – glücklichsten zwei Monate meines Lebens.

Deshalb hatte ich mich auf gestern abend gleich doppelt gefreut: Nicht nur würde ich Michelle Witton wiedersehen (sie ist Punkt 5 meiner 10 Dinge, die ich in Sydney gelernt habe), wir würden uns auch im BAFTA Club treffen, in dem sie Mitglied ist. BAFTA ist die British Academy of Film and Television Arts, die jährlich ihre eigenen Oscar-ähnlichen Awards verleihen (gottlob gewinnt fast immer Colin Firth, der einfach die besten, nein: die allerbesten Dankesreden abliefert). Der BAFTA Club liegt in Piccadilly, ein paar Häuser von Fortnum & Mason und meinem Zweitlieblingsbuchladen Hatchards entfernt, ist überraschend, aber nicht enttäuschend unverstaubt und hat Sofas, die ich sofort auf dem Rücken nach Hause schleppen möchte.

Am schönsten fand ich einen Brief, den Gründungsmitglied David Lean auf Briefpapier vom Berkeley Hotel getippt hat. Darin geht es nicht nur um seine möglichen Einnahmen aus seinen Filmen „Die Brücke am Kwai“ und „Doktor Schiwago“ („they may amount to very little“) sowie „Lawrence von Arabien“ („hat noch keinen Gewinn gemacht und wird es vermutlich auch nicht“), sondern auch um eine der ersten Sitzungen des BAFTA Clubs, in der Alexander Korda, der Produzent von „Sein oder Nichtsein“ und „Der dritte Mann“, davon träumte, eines Tages die Royal Albert Hall für die Verleihung des Filmpreises anzumieten – „at which we chuckled politely“.

Michelle habe ich, wie gesagt, vor einem halben Jahr kennengelernt und auch zuletzt gesprochen; unsere Gespräche drehten sich folglich viel um das, was in diesen sechs Monaten mit uns jeweils passiert ist. Immer gut, gezwungen zu sein, Entwicklungen, die man hier im Blog ja fast auf Tagesbasis mitverfolgen kann, für jemanden aus der Vogelperspektive zusammenzufassen. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Glück, Freiheit und Dankbarkeit für beides. Michelle wiederum, die ja wunderbarerweise sowohl als Rechtsanwältin wie auch als Schauspielerin arbeitet, hat es geschafft, ihre beiden scheinbar so widersprüchlichen Professionen zu einem Projekt zu vereinen: Schulungsvideos für britische Firmen zum Thema der neuen Antikorruptionsgesetze. Auch dies eine gute Lehre: Eines der besten Glücksrezepte ist ein entspanntes Sowohl-als auch.


Nicht verhandelbar

Donnerstag, 7. Juli 2011

Das hier könnte Spaß machen, leider erst im nächsten Jahr: Meryl Streep als Maggie Thatcher.

Robbie. Fucking. Williams

Donnerstag, 7. Juli 2011

Am Anfang der Schock. Nur Die Anderen Vier stehen auf der Bühne. Ist der Meister mal wieder umgekippt? Gary Barlow kündigt zur allgemeinen Erleichterung an, dass „später noch jemand dazustößt“, Die Anderen Vier singen ein bisschen was aus der Zeit-ohne-Robbie, anschließend wird die Nationalhymne vom ganzen Stadion angestimmt – „God save the queen“, 85.000 Leute, volle Brust. Ein Mann in Kaninchenkostüm hüpft durch die Gegend, und Mark Owen reitet auf einer rosa Raupe von der Bühne, gefolgt von den anderen. Kann man machen, muss man aber nicht. Ende Teil 1.

Und dann erhöht sich die Temperatur an diesem schönen Sommerabend schlagartig um gefühlte 10 Grad. Erst flimmert er nur über die Videowand, dann über die Bühne, startet natürlich mit „Let me entertain you“ in einer fieberhaft wahnsinnigen Version und stellt sich höflich mit „My name is Robbie fucking Williams“ vor. Zwischen „Rock DJ“, „I come undone“ und „Feel“ die rituellen Beleidigungen („Die Rolling Stones haben zwei Tage hintereinander in Wembley gespielt, Oasis drei. Take That spielt acht Tage. Noel Gallagher kann mich am Arsch lecken“). Aber wie er abliefert! Ich kenne keinen anderen, der auf der Bühne so schamlos geliebt werden will wie Robbie Williams, keine größere Rampensau und keinen größeren Könner im Umgang mit dem Baumaterial eines Konzerts. Er spielt auf dem Publikum wie auf einer 85.000stimmigen Orgel, den Mikrofonständer nutzt er fließend als Penisverlängerung, Krückstock, Golfschläger, Dirigentenstab, Zepter und Schwert, mit dem er sich selbst zum Ritter schlägt; so possierlich in seinem Über-Ego, dass man nicht anders kann als, ja, ihn zu lieben. Wenn er das denn nun mal so will… Dann noch „Angels“, tränenreich, er habe gerade drei Freunde verloren, das Stadion liegt sich in den Armen, und jetzt könnte man eigentlich nach Hause gehen. Denn das war Teil 2. Und was soll jetzt noch groß kommen?

Ganz einfach: das, was diese Tour zum „größten Comeback seit Lazarus“ macht, wie die Times schrieb. Die fünf vereint, zum ersten Mal seit 16 Jahren auf der Bühne, vor 1,76 Millionen Zuschauern allein in Großbritannien. Und es funktioniert. Aus Robbie & Den Anderen Vier wird im Lauf des Abends wieder Take That, die Jungs haben Spaß, besonders in der Passage, wenn sie, mit inzwischen leicht ergrauten Bärten, ihre Dance Moves aus den frühen Neunzigern persiflieren und die Greatest Hits sehr intim, fast wie ein Ratpack-Probenraumgeplänkel singen. „Back for good“ natürlich aus sämtlichen Rohren gefeuert. Zum Schluss, bei „Never forget“, steht inzwischen auch die 20 Meter hohe hydraulisch bewegte Roboterfigur Om und umarmt die Massen wie der Jesus von Rio. Und alle Schleusen sind weit offen.

Wie war’s also? Och, ganz gut, fand ich.


Hinaus & hinein

Dienstag, 5. Juli 2011

Heute vor 170 Jahren, las ich gerade, am 5. Juli 1841 also, wurde der Massentourismus erfunden. Unter der Leitung von Thomas Cook fuhren 570 Reisende mit der Eisenbahn von Leicester ins 20 Kilometer entfernte Loughborough und zurück. Für den Preis von einem Schilling gab es einen Stehplatz 3. Klasse in offenen Waggons, ein Schinkenbrot und eine Tasse Tee. Diese Reiseveranstaltung kam so gut an, dass Cook ab da weitere Pauschalreisen organisierte: nach Schottland, London, Ägypten und bald um die ganze Welt. Den Hotelvoucher hat er auch gleich miterfunden.

Der Diana-Tourismus ist dagegen noch relativ neu: Zum Todestag oder jetzt zu ihrem 50. Geburtstag am 1. Juli reisen immer noch Menschen weitaus längere Strecken als nur 20 Kilometer, um ein paar Blumen niederzulegen. Fans aus aller Welt haben teils sehr rührende Glückwunschkarten an den Zaun vor dem Kensington Palace gehängt und anschließend ihre Füße in den Diana-Brunnen des benachbarten Hyde Park.

Aber ich war eigentlich aus einem anderen Grund in den Park gegangen. Einer meiner Lieblingsarchitekten, der Schweizer Peter Zumthor, hat in diesem Jahr den Pavillon vor der Serpentine Gallery gebaut. Ich bin mal drei Tage lang sehr, sehr glücklich in seiner magischen Therme in Vals herumgedümpelt, die übrigens auch jede Reise wert ist, egal wie weit. Sogar dritter Klasse mit Schinkenbrot.


Peter Zumthor: Therme Vals by vernissagetv

Für Kensington Gardens hat er einen Hortus Conclusus gebaut. Von außen ein abweisend schwarzer Kasten, innen ein zum Himmel geöffneter Garten von Piet Oudolf, der nun wiederum einer meiner Lieblingsgartenarchitekten ist. Er macht ganz unmanikürte, wunderbar atmosphärische Steppenlandschaften mit vielen Gräsern und Wildblumen. Als ich mal einen Dachgarten hatte, habe ich hemmungslos bei ihm geklaut. Hier bildet die Wildheit einen schönen Kontrast zum klösterlichen strengen Kreuzgang des Pavillons.

Wieder mal erstaunlich: wie sehr einen solche Orte sofort zur Ruhe bringen. Hinein geht man vielleicht mit Einkaufslisten im Kopf, Ärger im Herzen, Blei in den Füßen. Heraus kommt man geklärt und beruhigt, beschützt und beschenkt.

Serpentine Gallery Pavilion 2011, Kensington Gardens, noch bis 16. Oktober


Neue Heimat VII

Freitag, 1. Juli 2011

Mein Koffer hat sich in den letzten sechs Monaten sechs Kilo Übergewicht angefressen, ebenso wie ich. Im Fall des Koffers kostet das richtig Geld: United Airlines (die auch ansonsten für ihren miesen Service in die Fluglinien-Hölle kommen) haben mir dafür 200 Dollar abgeknöpft.

Damit steht zumindest schon mal ein Ziel für London fest: Reduktion. Das gilt allerdings nicht für meine neue Umgebung. Die Wohnung gehört ebenfalls Carl Djerassi, der ja schon mein Vermieter in San Francisco war, und ist die ganz große Oper: eine viktorianische Maisonette mit Kamin. Sie liegt in Warrington Crescent in Maida Vale, ganz in der Nähe der Hausbootsiedlung Little Venice. Als ich zum ersten Mal in die Küche ging und von dort auf die Terrasse, habe ich mal wieder einen hysterischen Lachanfall bekommen. Erstens: überhaupt eine Terrasse dieser Größe mitten in London, schon mal eine Sensation. Zweitens: Sie geht auf einen Privatpark hinaus, zu dem nur die Bewohner der umliegenden Häuser den Schlüssel haben. Auf den Bänken hatten es sich ein paar Nachbarn mit Büchern und Thermoskanne gemütlich gemacht, und mir fiel gleich die Schlussszene von Notting Hill ein (ca. ab Minute 1:10). Wieder mal: was für ein Glück. Noch schöner: Hier kann ich auch meine Gartenlust austoben, denn ich bin diesen Monat für die Hortensien und den Rosmarin auf der Terrasse verantwortlich.

Ansonsten war die Landung heute in aller Herrgottsfrühe so ganz anders als die bisherigen Ankünfte. Nach sechs Monaten wieder in Europa, zudem in einer Stadt, die ich als bisher einzige von vielen, vielen Kurzbesuchen kenne – das hatte was von Nachhausekommen. Das war, als ob ich nach einem halbjährigen Traum wieder im Alltag aufwache. Die Wagen mit den Milchflaschen, die Zeitungsschürzen, die Jungs in den Schuluniformen – hello again. Doch das war erstaunlicherweise nicht nur schön, das war mir alles plötzlich fast zu nah. Ich will noch nicht zurück! Um so dringender werde ich vermutlich in den nächsten Wochen das Fremde im Vertrauten suchen gehen (auch das ein schönes Training für die endgültige Heimkehr)

Richtig gefreut aber habe ich mich über zwei vertraute Gesichter aus meinem Hamburger Rudel, die zufällig in der Stadt waren: Sabine und Frank, mit denen ich sofort frühstücken ging. Ich glaube, ich habe ein bisschen gefremdelt – herrje, wie ungewohnt, nach Monaten wieder mit Freunden zu reden, denen ich mich nicht erklären muss… Aber sie haben es mich nicht merken lassen, die Guten.


Gefangen

Donnerstag, 30. Juni 2011

Es hat den ganzen Tag geregnet, wirklich gnadenlos, unaufhörlich, durchgehend geregnet. Der perfekte Tag also für Alcatraz. Es war ein Pflichttermin, der Auftrag einer SZ-Leserin, Lust hatte ich eigentlich keine – und wieder mal habe ich hinterher ein kleines Dankesgebet nach Deutschland geschickt dafür, dass ich gelegentlich zu meinem Glück gezwungen werde.

Denn selten habe ich einen Ort so intensiv erlebt wie diesen beklemmenden grauen Bau an diesem niederschmetternd grauen Tag. Das ist einzig der brillianten, fesselnden Audiotour zu verdanken, die einen durch das Gefängnis leitet. Erzählt wird die nämlich nicht von einem langweiligen Historiker, sondern von ehemaligen Gefängniswärtern und ehemaligen Insassen von Alcatraz: Leon „Whitey“ Thomson (Waffenhandel, in Alcatraz 1960-62), John Banner (Bankraub, 1954-58), James Quillen (Kidnapping, 1942-52), Darwin Coon (Bankraub, 1959-63). Man sitzt quasi mit ihnen in der Zelle, geht zum Essenfassen und zum Hofgang, sehnt sich nach draußen – besonders zu Silvester, wenn das Lachen und die Gesänge bei günstigem Wind von San Francisco herüberdringen. Auch in eine Isolationszelle wird man gebeten, und einer der Häftlinge erzählt, wie er sich hier in völliger Dunkelheit einen Knopf abgerissen hat, ihn in die Luft geworfen hat und ihn dann am Boden zu finden versuchte, wieder und wieder und wieder.

Jetzt schon auf meiner To-do-Liste, wenn ich wieder zuhause bin: sämtliche Alcatraz-Filme angucken. Flucht von Alcatraz mit Clint Eastwood, Der Gefangene von Alcatraz mit Burt Lancaster, The Rock
Das Thema ist unerschöpflich: Im Herbst startet hier in den USA eine neue Serie von J.J. Abrams, dem Mastermind hinter „Lost“. Kein Entkommen.

Und hier startet eine etwa 50minütige Dokumentation über den spektakulärsten Fluchtversuch auf Alcatraz.