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Bei Königs

Samstag, 27. August 2011

Ich hatte schon immer ein Schwäche für das dänische Königshaus, es scheint mir so angenehm menschlich. Die kettenrauchende, gelbzähnige Königin Margrethe, der nette Kronprinz Frederik, dem in der Kirche beim Anblick seiner Braut die Tränen über die Backen kullerten und der auf dem offiziellen Foto mit Frau und Zwillingen angenehm verwilderten Zehntagebart trägt, die putzige Operettenarmee, die zum Wachwechsel zinnsoldatenhaft durch die Fußgängerzone marschiert – es ist alles herzallerliebst. Den Hof von Schloss Amalienborg mit seinen vier vergleichsweise bescheidenen Gebäudeteilen – links wohnt die Königin, rechts der Prinz, hinten links die Gäste, hinten rechts ist ein Museum – kann jedermann betreten; nur wenn man sich auf die Treppenstufen vor Margrethes Haustür hockt, guckt eine Wache mal ein bisschen grimmiger. Und nicht weit davon stehen am Hafenrand die Pavillons, in denen gewartet wurde, wenn die königliche Yacht von der gegenüberliegenden Hafenseite herangeschippert werden musste. Keine Ahnung, ob die noch in Betrieb sind – falls ja, sind sie karger ausgestattet als jede deutsche Bushaltestelle: keine noch so harte Sitzbank weit und breit.

Macht hoch die Tür

Donnerstag, 25. August 2011

Die Kopenhagener Kirchen sprengen alle Dimensionen. Diese zwei sind meine liebsten: Oben die Christianskirche im Stadtteil Christianshavn, die breiter als lang ist und theaterähnliche Logen auf drei Rängen hat. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber dieses quergelegte Layout macht mir sofort gute Laune. Ebenso der Pastor Flemming, der mir die Stelle in der Krypta zeigt, wo Gitarrenlegende Link Wray 2005 beigesetzt wurde.

Links und unten die Grundtvigskirche mit ihrer mächtigen orgelartigen Fassade, an der fast 20 Jahre gebaut wurde. Der Architekt Peder Klint hatte sich mit seinem Entwurf an einem Wettbewerb beteiligt, bei dem es eigentlich nur um ein Denkmal für den Philosophen, Dichter, Historiker, Pädagogen und Pastor Nikolai Frederik Severin Grundtvig, Erfinder der Volkshochschule, gehen sollte. Klint war der Ansicht, dass nur eine Kirche – ach was, eine Kathedrale – angemessen wäre, keine schnöde Statue – und gewann. Die Fertigstellung sollte er nicht mehr erleben, sein Sohn, der geniale Kaare Klint, setzte den Bau fort und entwarf auch die Kirchenstühle. Der Bau ist gewaltig, ein Backsteingebirge, das trotzdem federleicht wirkt. Man steht klein drin und glaubt plötzlich wieder an alles Gute im Menschen.

Christianskirche, Strandgade 1, 1401 København K

Grundtvigskirche, På Bjerget 14B, 2400 København

Louisiana

Mittwoch, 24. August 2011

Im Keller gibt es einen Raum, von dem man vorher wissen muss, sonst übersieht man ihn. Wenn man Glück hat, wird man darauf aufmerksam, weil ein paar Leute wartend davor stehen. Geht es hier zur Toilette? Weit, weit gefehlt. In dem Raum, den immer nur zwei Menschen gleichzeitig betreten dürfen, findet sich Yayoi Kusamas Installation „Gleaming Lights of the Soul“, hunderte von Lichtbällen, die alle paar Sekunden ihre Farbe wechseln. Man steht auf einem schmalen Streifen, umgeben von Wasser und Spiegeln und schwebt völlig schwerelos in diesem Bad aus Licht und Farbe. Magisch, suchtbildend.

Louisiana, etwa 30 Kilometer nördlich von Kopenhagen, ist ein Museum für Leute, die eigentlich keine Museen mögen. Es ist wie ein großer Kinderspielplatz der Kunst. Es finden immer mehrere Ausstellungen gleichzeitig statt, derzeit ist keine schwere Kost dabei: David Hockneys iPad-Zeichnungen (siehe oben – so simpel die Subjekte sind, es ist faszinierend, ihm quasi über die Schulter zu schauen. Erinnerte mich an die Picasso-Dokumentation), Josef Albers auf Papier und dann noch eine intelligente, gut kuratierte Ausstellung über das Wohnen. Im wunderschönen Park, der zum Øresund hinunter geht: Jazz für Kinder neben Skulpturen von Henry Moore und Joan Miró.

Ein Ort für einen ganzen Tag. Dazwischen und am Ende sitzt man glücklich in der Sonne bei einer Zimtschnecke und mit einem Blick auf Alexander Calder und das Meer. Und beide haben noch nie so gut ausgesehen.

Louisiana, Gl. Strandvej 13, 3050 Humlebæk

Inzwischen

Montag, 22. August 2011

Schön, hin und wieder war ich natürlich doch draußen, zwischen zwei Regenschauern, zwei Artikeln, zwei Büchern. Ein paar Bilder aus den letzten beiden Wochen.

Jeden Mittwoch backt die St. Peders Bageri in der Altstadt Onsdag Snegl, Mittwochsschnecken mit Zimt und Zuckerguss. Eine reicht, um einen für den Rest des Tages stumm und glücklich zu machen.

Sankt Peders Stræde 29, 7 bis 17.30 Uhr

Das Kettenkarussell im Tivoli. Klar war ich oben. Für den Preis einer Kinokarte. Es war… kreeeeeeeeiiiiiiiisch!

Und apropos Drehschwindel:

Kopenhagen hat neben den Onsdag Snegls auch andere atemberaubende Spiralformen. Links mein Lieblingsturm, der von der alten Börse, bei dem sich die Schwänze von vier Holzdrachen zu einer spektakulären Turmspitze verdrehen. Rechts der Turm der Vor Frelsers Kirke, den zu besteigen mindestens so eine Mutprobe ist wie das Tivoli-Karussell. 250 knarrende Holzstufen im Inneren, die in einer Art Hühnerleiter enden, 150 immer enger werdende Stufen außen am metallbeschlagenen Holzturm, der bei starkem Wind wackelt wie ein Drachenschwanz. Aber es gehört einfach dazu, einmal oben die Goldkugel mit dem fahnenschwenkenden Christus anzutippen.

Vor Frelsers Kirke, Skt. Annæ Gade 29, Turm täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet.

Das Palmenhaus im Botanischen Garten. Nichts, was man gesehen haben muss. Aber einer der nettesten Orte, um eine Box mit Take Away-Smørrebrød von Aamanns zu essen.

Aamanns Take Away, Øster Farimagsgade 10, in der Woche 10 bis 20.30 Uhr

Einmal über die Brücke von der Innenstadt kommend, zweimal rechts, und man ist im Havnebadet, einem kostenlosen Ponton-Schwimmbad direkt im Hafenbecken. Die Wasserqualität ist unbedenklich, wenngleich die Becken ziemlich veralgt sind. Stört keinen hier. Schon gar nicht die Jungs zwischen 5 und 55, die Arschbomben vom Sprungturm machen. Der perfekte Ort für einen faulen Sommersonntag. Oder -montag. Oder -dienstag.

Havnebadet Islands Brygge, wochentags 7 bis 19 Uhr, am Wochenende 11 bis 19 Uhr.

In der Pusher Street, der subtil benannten Hauptstraße von Christiania, stehen Büdchen, die fein säuberlich ausgebreitete Haschisch-Pieces und fertig gedrehte Joints in diversen Stärken anbieten. Bei näherer Überlegung: Nö, doch lieber ein hiesiges Öko-Bier in der Sonne vor dem Spielplatz. Wenn man ein bisschen abseits der großen Straßen spaziert, stößt man auf fast ländliche Idylle. Und im Garten eines der hübschen Häuser auf eine ganz traditionelle Hochzeit mit weiß gekleideter Braut und rot angelaufenem Bräutigam.

Und noch so ein vertrödelter Ort, in dem man ganze Nachmittage versacken kann: das Café Bang & Jensen in Vesterbrø. Flohmarkt-Interieur, Frühstück bis 16 Uhr (ich habe um 15.56 Uhr bestellt) und diese beeindruckende Sammlung von künstlerisch wertvollen Seebären-Bildern, unter der ich am liebsten sitze.

Bang & Jensen, Istedgade 130

Sommersamstag

Samstag, 6. August 2011

Das Schöne an Kopenhagen ist, dass es praktisch keine Sehenswürdigkeiten gibt. Als Tourist wird man hier ziemlich in Ruhe gelassen: Die Innenstadt ist in einer halben Stunde zu Fuß durchquert, die zwei Schlösser hat man auch schnell erledigt, dann noch eine Hafenrundfahrt, fertig. Anschließend: leben. Ich habe wie immer gleich mit dem Leben angefangen und die sights bisher unseen gelassen (Schreibtischwoche gepaart mit sommerlicher Besichtigungslustlosigkeit). Auch heute: Superwetter, deshalb lieber rauf aufs Rad und raus aus der Stadt.

Aber die hier lag auf dem Weg:

Ein Rätsel, warum dieses kleine Dingelchen so berühmt werden konnte. Es liegt vergleichsweise ab vom Schuss und nicht mal sehr hübsch: Die Touristen bemühen sich unter Verrenkungen, den gegenüberliegenden Industriehafen nicht mit ins Bild zu kriegen. Historische Bedeutung hat Den lille havfrue auch nicht gerade (1913), der Bildhauer Edvard Eriksen hat sonst kaum Nennenswertes geschaffen und auch die Hintergrundgeschichte ist eher deprimierend. Nicht nur das Märchen von Hans Christian Andersen selbst – über eine unglückliche Liebe mit tödlichem Ende –, sondern auch die Entstehung der Skulptur stimmt eher trübe: Der Besitzer der Carlsberg-Brauerei, Carl Jacobsen, sah eine Aufführung des Balletts über die Kleine Meerjungfrau und wollte unbedingt die Primaballerina Ellen Price verewigt sehen. Die weigerte sich aber, nackt zu posieren, und so musste Eriksens arme Ehefrau ihren Körper hinhalten – auf den der Kopf von Ellen Price gesetzt wurde. Und auch die Nachwelt ist bislang alles andere als pfleglich mit der Dame umgegangen.

Aber ich wollte eigentlich die Küste hoch, Richtung Norden. Vorbei an der ehemaligen Tuborg-Brauerei…

… und an der Meeresbadestelle Charlottenlund…

… und an Arne Jacobsens grandioser Tankstelle von 1937 in Skovshoved (immer noch in Betrieb in Kombination mit einer Eisdiele)…

…fuhr ich wieder mal geisterhafte Hauptstraßen entlang. Ich kapier’s nicht: Samstag, Badewetter, 11 Uhr vormittags – wo sind die nur alle? Bestimmt schon am Strand.

Nee. Hier auch nicht. Das Strandbad Bellevue in Klampenborg: verlassen. Macht nichts, ich mache mich dafür um so breiter. Beim Ausziehen muss ich lachen. Kolhapuri-Latschen: Mumbai, Top: San Francisco, Bikini: Honolulu, Tasche: Sydney, Sonnenbrille: Flughafen Singapur, Sonnenmilch: Buenos Aires. Nur der Rock ist aus Hamburg (my rock – immer wieder danke für die Grundgarderobe, Katharina, die funktioniert wirklich in jeder Stadt).

Weiter durch den Dyrehaven (Hirschpark). Keine 300 Meter hinter dem Dyrehavsbakken, dem ältesten Vergnügungspark der Welt…

…tatsächlich eine Herde freilaufender Hirsche, völlig unbeeindruckt vom Hau den Lukas-Gebrüll.

Nicht weit davon: das Museum Ordrupgaard. Ein ehemaliges Herrenhaus, idyllisch in einem Park gelegen, mit einem Anbau von Zaha Hadid, die ich jedes Mal, wenn ich in einem ihrer Gebäude bin, mit einem nassen Lappen verhauen möchte (ihre größte Idiotie war, glaube ich, die Betriebsfeuerwehrstation für das Vitra Design Museum in Weil/Rhein, die wegen der schräg abfallenden Böden nie benutzt werden konnte – zu gefährlich für die Feuerwehrleute im Fall eines Brandes).

Im Haupthaus hängen einige Bilder von Vilhelm Hammershøi, den ich sehr mag. Sehr leere, sehr stille, sehr monochrome Räume, ein bisschen Vermeer, ein bisschen Edward Hopper. Man sollte Hammershøi auf Blutdrucksenkungs-Tablettenpackungen drucken, es würde die Dosis dramatisch senken.

Ebenfalls im Park von Ordrupgaard gelegen: das Privathaus von einem meiner Lieblinge, Finn Juhl. Er ist nicht so bekannt wie Arne Jacobsen, aber kann das wirklich sein, dass ich an einem Samstagnachmittag die einzige Besucherin hier bin? Von außen ist das Haus eher unaufregend – zwei durch einen Glaskorridor verbundene Giebelhauswürfel –, aber sowie man es betritt, ist man zuhause. Große Offenheit der Räume, dabei ganz klare Funktionen. Fotografieren war leider verboten, aber hier ist noch ein Bild von Finn-Sesseln in Frau Zahas unfreundlichem Klotz:

Und dann wieder heim. Im Spätnachmittagslicht, bei Amselgesang und dem Duft von frisch gemähtem Gras. Satt an Sonne, satt an Schönem. Ein weiterer perfekter Tag.

Fro(h)kost

Donnerstag, 4. August 2011

„Wenn du willst, nehme ich dich mit zum besten Eisladen der Stadt. Donnerstag um 11?“ Ist das eine Frage? Zwar weiß man als Journalistin, dass „bester Eisladen der Stadt“ in der Regel „Ich kenne vier Eisläden, hier schmeckt es mir am besten und zufällig liegt er in der Nähe meiner Wohnung“ bedeutet (ich weiß das deshalb so gut, weil ich berufsbedingt auch oft zu Superlativen neige – und im Lauf meiner Karriere oft genug „Die 10 besten XYZ“-Listen geschrieben habe), aber in diesem Fall: You had me at Eisladen.

Die Einladung stammte von Agnes, die mir neulich als meerfrau in den Kommentaren einige gute Kopenhagen-Tipps gab und seit einem Jahr über ihr Leben hier in der Stadt bloggt. Und die tatsächlich einen verdammt guten Eisgeschmack hat: Ismageriet auf der Insel Amager im Süden der Innenstadt macht phantastisches Rhabarber-, Lakritz- und Blaubeereis (die anderen Sorten dann beim nächsten Mal). Es war zwar erst mein erster Eisladen, aber was soll ich sagen: der bisher mit weitem Abstand beste der Stadt.

Ismageriet, Kongelundsvej 116, Kopenhagen 2300

Ørestad auf Amager ist zugleich Standort eines der spannendsten europäischen Städtebauprojekte, das wir uns hinterher auf einem ausgedehnten Spaziergang anguckten. Höhepunkt: Das 8 House (unten), ein Wohnblock mit fast 500 Einheiten in Form einer liegenden 8, der einen spektakulären Blick über das Naturschutzgebiet bis zum Meer bietet. Eine Rampe im Inneren windet sich wie eine Dorfstraße an allen Wohnungen vorbei, die meisten mit kleinen Vorgärten. Das Konzept ist faszinierend, die Wohnungen sehen (von außen, mit plattgedrückter Nase am Küchenfenster) fantastisch aus. Wen’s interessiert, hier ist ein viertelstündiges Video, in dem der Architekt Bjarke Ingels die Idee mitreißend erklärt (auf dänisch mit englischen Untertiteln). Auf meiner Einkaufsliste: Sein programmatischer Architekturcomic Yes is more, schon des schönen Titels willen.

Hier radelt er durch den Shanghaier Expo-Pavilion, den sein Büro ebenfalls entworfen hat.


Hjerteligt velkommen

Montag, 1. August 2011

TOP 1: ein Fahrrad. Ohne geht es hier gar nicht. Dieses (sieben Gänge, bisschen schwach auf der Bremse, dafür Rücktritt) habe ich für einen Monat von Baisikeli gemietet, weil ich deren Idee so bestechend finde: Sie vermieten gebrauchte Räder, der Erlös dient dazu, den Export und die Reparatur schrottreifer Räder für Mozambique und Sierra Leone zu finanzieren, wo Mobilität entscheidend ist, um zur Schule oder zum Krankenhaus gelangen zu können.

Die Radwege hier sind wie vierspurige Straßen, so was Breites habe ich noch nie gesehen. Völlig unnötig, das Rad mit einer fetten Panzerkette anzuschließen, meinte der Typ vom Radladen; das Speichenschloss reiche hier völlig. „Räder werden hier nicht geklaut. Jedenfalls nicht unsere.“

TOP 2: zu Royal Copenhagen in der Strøget. Meine Kanne hat was Kleines bekommen (2. Wahl, aber seit London geht Tee ohne Milch nicht mehr).

Und weil ich schon mal in der Nähe war: Illums Bolighus. Ein multipler Orgasmus auf vier Etagen. Ich kannte das schon von meinem einen Kopenhagen-Besuch im Winter vor zwei Jahren: skandinavisches Design – Möbel, Haushaltswaren, Stoffe – bis unter die Decke, man möchte jedes einzelne Stück haben. Es ist die Hölle. Ich habe es tatsächlich geschafft, eine Stunde sabbernd hier durchzutaumeln, ohne auch nur ein Stück zu kaufen. Nicht mal den Wassermelonen-Fahrradhelm. Übermenschlich.

Illums Bolighus, Amagertorv 10, 1160 København

Eine Zufallsentdeckung: das älteste Café der Stadt, Konditori La Glace. Eigentlich bin ich hier nur hängengeblieben, weil das Schaufenster so bizarr dekoriert war. Offensichtlich hat der Konditor Strickmützen und -kissen nachgebacken, die hier von einem Handarbeitskränzchen gestrickt wurden. Alles ziemlich bezaubernd, und der Kuchen ist auch nicht übel.

Konditori La Glace, Skoubogade 3, 1158 København, täglich 8.30 Uhr bis 17.30 Uhr, im Sommer sonntags geschlossen (denn die Bäcker müssen ja auch mal an den See)

Honigbrot

Freitag, 29. Juli 2011

Nehmen wir an, Sie wären ein Rockstar, und das seit 25 Jahren. Würden Sie eine wildfremde Frau in Ihre Küche einladen, ihr Tee kochen, ihr Honigbrot schmieren und sich zwei Stunden lang mit ihr über Rupert Murdoch, Macbeth, Cricket, Hitler, Oasis, die Talente von Kindern und die Hintergründe des schwarzen Obelisken am Münchner Karolinenplatz unterhalten? Um ihr am Ende ein 624 Seiten dickes Sachbuch über King George V., Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. ans Herz zu legen, und zwar wiederholt? Nein, würden Sie nicht. Aber Sie sind ja auch nicht Darryl Hunt, Bassist der Pogues.

Die ganze Story dann vermutlich am 19. August im SZ Magazin. Ich kann ja nicht alle meine besten Geschichten hier erzählen. Möchte aber trotzdem auf die gelben Abwaschhandschuhe hinten im Bild hinweisen.

Men at work

Freitag, 29. Juli 2011

„Have you seen our garden?“ fragte mich der Mann in blau unten in meiner U-Bahnstation Warwick Avenue. Nein, welchen Garten denn? Kommen Sie, den zeige ich Ihnen. Und ich stieg mit Graham die Treppe hinauf zum Eingang der Station. Tatsächlich, in zwei Blumenkästen am Treppengeländer, wo jeden Tag Tausende vorbeigehen: der Garten. Tomaten, zwei kleine Kohlköpfe, Auberginen, Salbei, Rosmarin, Chilischoten, Erdbeeren. Zwei- oder dreimal am Tag steigt Graham oder einer seiner Kollegen mit einer Wasserkanne ans Licht, um den Garten zu gießen. Die Jungs haben Spaß, keine Frage. Bei der Gelegenheit: noch ein Gruß von Tim.

Schon im Juni erreichte mich eine Mail von Sonja Wanner, einer SZ-Magazin-Leserin. „Sehr geehrte Frau Winnemuth, ich habe einen etwas komischen Auftrag an Sie. Ich war schon viele Male in London (das erste Mal 1983 als Studentin) und jedes Mal suche ich die Buchhandlung Foyles auf. Als Englischlehrerin gehe ich immer in die Abteilung für Englisch als Fremdsprache und wirklich jedes Mal seit 1983 war derselbe Verkäufer da, der mit mir gealtert ist. Er ist sehr zurückhaltend, spricht z.T. mit etwas lauter Stimme und weiß einfach sehr gut Bescheid. Er trägt eine Brille und müsste inzwischen um die 60 sein. Ich habe irgendwie das Gefühl, er ist sehr einsam.
Er wird sicher bald in den Ruhestand gehen und ich habe Angst, wenn ich das nächste Mal in London bin, dass er nicht mehr da ist. Ich weiß nicht einmal seinen Namen und ich wollte mich bedanken für seine Hilfe in all den Jahren. Könnten Sie ihn aufsuchen, nach seinem Namen fragen und sich in meinem – unbekannten – Namen bei ihm bedanken?“

Aber gern. Foyles war auch für mich immer erste Anlaufstelle damals im Studium. Es ist weiß Gott nicht der hübscheste Buchladen, aber ganz sicher immer noch einer der größten. Die Abteilung Englisch als Fremdsprache liegt im ersten Stock, hinter der Kasse: ein junger Mann. Ist der Gesuchte etwa tatsächlich schon in Rente? „Oh nein, Giles ist auf einen Kaffee rausgegangen, der müsste gleich wieder da sein.“ Es dauert dann doch etwas länger, denn der Mann arbeitet inzwischen, wie es ihm passt. Giles Armstrong – nicht etwa 60, sondern schon über 70 – ist seit 40 Jahren bei Foyles, und zwar immer in derselben Abteilung. „I am perfectly happy here, so why should I change?“ Rente? Nein, wozu denn? Auf ihn wartet niemand zuhause, hier hingegen: jeden Tag neue Leute aus aller Herren Länder. Er sei bestimmt eine Legende, sage ich. „Ach“, antwortet er mit feinem Lächeln, „den Ausdruck würde ich nicht benutzen. Sagen wir: eine Institution.“ Er hat von der Geschäftsleitung die Erlaubnis, so lange zu arbeiten, wie er will. Und als ich ihm den Dank und die Grüße von Sonja Wanner ausrichte, strahlt er wie ein Weihnachtsbaum.

Ich liebe es, wenn Leute lieben, was sie tun. Wenn sie ihr Ding stolz und eigensinnig und mit Spaß durchziehen und sich ihren Arbeitsplatz genau so zurechtdengeln, wie es für sie gut ist. Mit Blumenkästen oder langen Teepausen – whatever works.

Gen B

Mittwoch, 27. Juli 2011

Als ich vor knapp zwei Jahren eine Wohnung kaufte und renovieren ließ (die ich als mein Zuhause betrachte, in der ich aber, wenn ich jetzt recht darüber nachdenke, zusammengerechnet gerade mal vier Monate gewohnt habe), habe ich von meinem Lieblingshandwerker Herrn Ohms die schöne Vokabel „bummelig“ gelernt. Bummelig zwei Wochen würde dieses und jenes dauern, bummelig 5000 Euro das und das kosten. Mit anderen Worten: um und bei oder ungefähr. Bummelig klingt aber so viel angenehmer, entspannter, egaler, dass ich es sofort in meinen Wortschatz aufgenommen habe. Mir fällt es in diesem Jahr öfter ein, weil es so gut meinen Tagesablauf beschreibt, der auch oft im Ungefähren verläuft. Zunehmend finde ich – zuhause eher eine Pünktlichkeitsfetischistin – es mühsam, Verabredungen zu treffen, denn sofort fühle ich mich ein bisschen atemlos, korsettiert. Selbst wenn ich mir selbst Termine setze (heute abend wollte ich zum Beispiel The Blue Lady in Vauxhall anhören gehen), findet sich allzu häufig etwas anderes, das sich ganz wie von selbst dazwischen schiebt. Ein Beispiel? Schön.

Das ist Christopher Howe, ein Antiquitätenhändler, bei dem Madonna, Claudia Schiffer und, viel wichtiger als alle anderen, der vor einer Woche verstorbene Lucian Freud eingekauft haben, der Christophers Sessel als Requisiten für seine Akte benutzte. Christopher habe ich vor einem Jahr mal telefonisch interviewt. Für Architektur & Wohnen schreibe ich eine Kolumne namens „Wer wohnt denn da?“, in der ich anhand von Fotos eines mir unbekannten Hauses ein Psychogramm des Bewohners schreibe, mich in 95 Prozent der Fälle aufs Beschämendste irre und nach Mitteilung der Auflösung ein Interview mit den Betreffenden führe, das fast immer mit den Worten beginnt: „Tut mir leid, dass ich Sie für ein schwules Ehepaar in Miami gehalten habe“. Bei Christopher lag ich, wenn ich mich recht entsinne, mit meinem Ratetext halbwegs richtig (Mann, britisch, entspannt, muss was mit Inneneinrichtung zu tun haben), und am Ende des Telefonats sagte er, was man halt so sagt, „Wenn Sie mal in London sind…“ und so weiter.

Heute also ging ich in seinen Laden in der Pimlico Road, plauderte ein bisschen mit seinem enigmatischen Assistenten John (Diamant-Ohrringe, Barbra-Streisand-Fingernägel, die Stimme einer Schuhverkäuferin) und ging dann mit Christopher Tee trinken. Ich erwähnte, dass ich mir gern ein neues Sofa kaufen würde, gern so ein fett gepolstertes britisches wie im BAFTA Club, und er gab mir einen Schnellkurs darin, wie man ein gutes von einem schlechten Sofa unterscheiden könne (wenig Holzrahmen, viel Posterung, handvernähtes Rosshaar unterm Rupfen, Daunen statt Federn in den Sitzkissen). Man muss dazu wissen, dass Christopher ein fast noch größerer Postermöbelfanatiker ist als ich und dass seine Bestseller sorgsam dekonstruierte Sessel aus dem 18. Jahrhundert sind, denen man sozusagen unter die Röcke gucken kann, siehe oben und links. Ich erwähnte mein nächstes Ziel Kopenhagen und er riet, dass ich mich unbedingt mit Nina Hertig vom Skandidesign-Laden Sigmar treffen müsse, ein paar hundert Meter die King’s Road runter, und bei der Gelegenheit auch gleich im Kunstmaterialgeschäft Green and Stone reingucken solle. „Solange das noch existiert.“

Ich mache mich also auf den Weg. Und hier kommt wieder das Bummelige ins Spiel. Ich finde mich in einer Nebenstraße wieder, stoße auf den Chelsea Physic Garden, einen Botanischen und Apotheker-Garten von 1673, stelle fest, dass gerade heute der Tag mit den Öffnungszeiten bis 22 Uhr ist. Und gehe natürlich rein. Und höre, dass in zwei Minuten eine Führung beginnt. Und schließe mich natürlich an.

Und erfahre: dass Joseph Banks, Wegbegleiter von Captain Cook, 1772 Lava von Island in diesen Garten geschleppt hat (oben links). Dass es Bäume mit dreieckigen zackigen Blättern gibt, deren Namen ich sofort vergessen habe (oben rechts). Ich bin entzückt über die Idee, Pflanzen in Dosen und Flaschen von Lebensmitteln von setzen, die später aus ihnen gemacht werden, wie Zucker, Chilisauce, Heinz Baked Beans (unten links). Und staune über das Beet mit Pflanzen, die einst für psychiatrische Behandlung gedacht war (unten rechts). Es ist alles so verdammt interessant, ist es nicht? Die Führung wird von Joanna, einer gut 70jährigen Grundschullehrerin mit gezählt neun riesigen Ringen an den Fingern gemacht, die mit leicht diabolischer Verve von den vielen Giftpflanzen im Garten erzählt. Kinder und Hunde sollte man hier besser nicht frei herumlaufen lassen, und hin und wieder erwischt es auch einen Erwachsenen, der so blöd ist, mal Belladonna probiert haben zu wollen. Außer mir ist noch eine junge Israelin dabei, die mir anschließend die Adresse eines Cousins in Tel Aviv gibt.

Und genau so geht das mit dem Bummeln, dem ungefähren Leben: ein Ziel haben, sich aber mit Freuden davon abbringen lassen. Früher sagten die Seeleute nicht, sie fahren von A nach B, sondern von A gen B. In die grobe Richtung von B also. Denn wer weiß, welche Winde wehen und welchen Zickzackkurs man nehmen muss, um anzukommen, und ob sich unterwegs nicht ein lohnenderes Ziel findet. So entschieden ich darin bin, immer zum Monatswechsel auch die Stadt zu wechseln: wohin ich innerhalb der Städte reise, ist oft reiner Zufall und meist eine Frage der Windrichtung.

Und so endete dieser Tag nicht in Vauxhall, sondern im Sonnenuntergang auf einer Bank im Chelsea Physic Garden. Der nette Cafébesitzer hat mir noch ein Stück Kuchen aus der Küche geholt („Walnuss und Zucchini, es klingt schräg, ist aber lecker“), obwohl schon zum Dinner gedeckt war. Ich nahm den Kuchen und ein Glas Wein mit hinaus in den Garten und guckte den anderen Besuchern zu, die unter der bemoosten Statue von Hans Sloane mitgebrachte Champagnerflaschen köpften. Und dem Herrn, der die herumfliegenden Korken anschließend brav aus der Botanik bergen ging.

Chelsea Physic Garden, 66 Royal Hospital Road (Eingang Swan Walk), geöffnet 1. April bis 31. Oktober, Dienstag bis Freitag 12 bis 17 Uhr, Sonntags 12 bis 18 Uhr. Zwischen dem 29. Juni und 7. September am Mittwoch bis 22 Uhr geöffnet.