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Pflasterstrand

Freitag, 16. September 2011

Ich war – ich trau mich kaum, es zuzugeben – bislang erst zweimal am Strand, so richtig mit Braten & Wenden, jeweils für drei Stunden. Länger halte ich es inzwischen selten aus, dazu ist es mir dann doch zu öde. Auch wenn die Barceloneser Jungs (oben bei der Arbeit) alles tun, um eine hübsche Aussicht herzustellen. Beim Strand von Barceloneta stellt sich außerdem die Frage, die ich gleich mal an einen Geologen weiterreichen möchte: Bis wann ist es Sand, ab wann ist es Dreck? Hängt sicher von der Körnergröße ab. Hier hat sich jedenfalls eine hinreichende Menge von Großstadtstaub in den künstlich aufgeschütteten Strand gemischt – kein ungetrübtes Vergnügen also, und aus gutem Grund steht alle hundert Meter eine Duschanlage.

Schattengewächse

Montag, 12. September 2011

Seltsam, wie man sich gelegentlich in Bauten verguckt, die gar nicht (oder höchstens in einem Nebensatz) im Reiseführer stehen. In meinem Fall ist es das Umbracle, das Schattengewächshaus im Parc de la Ciutadella, 1888 zur Weltausstellung gebaut. Ich bin bislang noch jeden Tag dort vorbeigegangen in der Hoffnung, dass jetzt endlich mal die Kette und das Schloss vom Tor entfernt wurde und man reinkönnte. Nein, heute wieder nicht. Aber ich gucke trotzdem jedes Mal durch die Holzlatten und staune den Dschungel im Inneren an. Das Umbracle ist eine Art verschatteter Wintergarten für Pflanzen, denen die katalanische Sonne einfach zu viel ist. Darunter sind erstaunlicherweise viele Palmen und Bananen, denen man mehr zugetraut hätte. Der Bau besteht aus zwei Backsteinfassaden und einer wogenden Holzlattenkonstruktion, die heute ziemlich verwittert ist. Ich kann nicht sagen, warum, aber er rührt mich einfach.

Hier kann man einen 360-Grad-Rundgang im Inneren machen.

Oma & Bella

Montag, 12. September 2011

L’Onze de Setembre

Sonntag, 11. September 2011

Heute ist… heute halt. Und außerdem noch L’Onze de Setembre, der katalanische Nationalfeiertag (gefeiert wird eine Niederlage: der Tag, als Katalonien 1714 seine Unabhängigkeit verlor). Auf dem Weg zu den Feiern habe ich mir gratuliert, dass ich so spät aufgestanden bin. Denn die berühmten Castellers, die ich mir eigentlich anschauen wollte, kamen mir bereits aufgeräumt auf der Straße entgegen, und bei ihrem Anblick habe ich mich erschreckt, denn da fiel es mir erst auf. Wirklich? An einem Tag wie diesem einen Turmbau aus Menschen anschauen, der vielleicht fällt? Einiges sollte man für sein eigenes Seelenheil besser lassen.

Vor zehn Jahren saß ich in einem Hotel in Tunesien vor dem Fernseher, heulte Rotz und Wasser und bewegte mich dann die nächsten zwei Tage nur noch zum Essen von ihm weg. Heute musste ich raus, zumindest kurz. Und ging gleich wieder rein: Das katalanische Parlament hatte aus Anlass des Diada Nacional Tag der Offenen Tür, etwas, dem ich nie widerstehen kann.

Und, super!, das Parlament hat einen Geschenkeshop. Papp-Parlamente zum Zusammenkleben, ministrable Krawattenadeln – und diese Bossa Catalana, einen den typischen katalanischen Kleiderbündeln nachempfundenen Beutel aus zwei großen Stoffdreiecken, zusammengenäht von Gefängnisinsassen. Verurteilten Taschendieben? Unwahrscheinlich, aber trotzdem ein schöner Zirkelschluss. Schien mir das perfekte Souvenir.

Gigantesco

Mittwoch, 7. September 2011

Wenn ich nach einer Woche unter Barcelonesen etwas kapiert habe, dann das: Zurückhaltung ist nicht so ihr Ding. Das gilt auch und besonders für die Bauten. Gestern wollte ich mich eigentlich nur kurz in einer Schreibtischpause (sorry, wenn ich derzeit noch wenig Stadtbilder poste, ich bin bis Mitte nächster Woche mehr oder minder am Tisch angekettet) für ein Stündchen in den nahen Parc de la Ciutadella setzen und stand staunend vor diesem Monster. Andere Stadtparks stellen einen Brunnen auf und gut is’, hier ergießt sich ein Wasserfall über mehrere Stockwerke aus einer Treppenanlage mit Quadriga und Venus und Drachen, an dem auch der junge Gaudí mitgearbeitet hat. Unbeschreiblich. Was mir gut gefiel: Der Efeu kann hier wachsen, wohin er will. Ist ja schließlich auch sein Job. Und: Im wirklich schönen Park gibt es erstaunlich ruhige Ecken. Ich saß eine Stunde lesend auf einer Bank am See, guckte den zusammengeketteten Ruderbooten beim Rumtreiben zu. Und atmete. Und muss jetzt zugeben: Bei allem Fluchen über die lieben Nachbarn, besonders die blöde Kuh von gegenüber, die jede Nacht zwischen vier und halb fünf noch mal besoffen die Anlage hochdreht: Umziehen kommt nicht in Frage. Wenn man in zehn Minuten Fußentfernung einen Park, zwei Märkte (Santa Caterina und La Boqueria), drei Kathedralen und ein Meer hat, geht das einfach nicht besser in einer europäischen Innenstadt.

Aber die Häuser!

Samstag, 3. September 2011

Am Passeig de Gràcia kriegt man den Mund nicht mehr zu. Wirklich atemberaubende Architektur.

Hoch hinaus & bodenständig

Donnerstag, 1. September 2011

La Seu, das Licht, heißt im Voksmund die alte Kathedrale von Barcelona, auf die ich heute eher zufällig gestoßen bin (gibt es was Schöneres, als ohne Stadtplan in konzentrischen Kreisen um eine neue Wohnung zu mäandern?). Sehr hell ist sie nicht, man muss ihr schon aufs Dach steigen, um das Licht zu sehen. Aber dann!

Noch schöner als die Kathedrale selbst ist der Kreuzgang mit seinem palmenbewachsenen Innenhof und den 13 schnatternden Gänsen – für jedes Jahr, das die Schutzheilige der Kathedrale, Santa Eulalia, gelebt hat, eine.

In den Gassen des Born hat sich die baskische Variante der Tapas (oder die spanische Variante des smørrebrød?) durchgesetzt: pintxos. Kleine Häppchen, meist auf Brot, zusammengehalten von einem Holzspieß. Man sammelt die Spießchen, nach ihrer Anzahl wird später abgerechnet. Man steht an der Bar, trinkt ein Glas Weißen (oder zwei) und debattiert mit den Nebenstehenden über die besten pintxos. Hin und wieder bringt jemand aus der Küche einen neuen Teller (Mini-Chorizos!) und alle stürzen sich drauf. Die perfekte 15-Uhr-Mahlzeit.

Zwischen Picasso-Museum und Santa Maria del Mar liegt diese Pintxo-Bar, die zum baskischen Kulturzentrum gehört und als eine der besten gilt:

Euskal Extea, Placeta Montcada 1-3

Abgefahren

Montag, 29. August 2011

In meinem Reisebudget steckt eine bislang unangetastete Summe für besondere Ausgaben. Unangetastet bis heute nachmittag. Denn nachdem ich gestern schon sabbernd um den Laden von Søren Sögreni herumgeschlichen bin, war ich heute reif. Zu Beginn der Reise hatte ich mal den Plan, mir während meines Londoner Monats einen Anzug in der Savile Row maßschneidern zu lassen, ein alter Traum. Ich hab’s gelassen, weil ich mir im Lauf des Jahres ein paar Kilo angefressen habe – macht derzeit wenig Sinn, sich auf diesen Leib was schneidern zu lassen. Some other time. Stattdessen: Plan B. Ein maßgeschneidertes Rad erträgt jede Gewichtsfluktuation.

Ebenso wie in der Savile Row beginnt alles mit dem Vermessen. Die Beinlänge wird ermittelt, der Rahmen ausgewählt, Reifenstärke, Anzahl der Gänge. Søren, der seinen Laden vor 30 Jahren gegründet hat (hier ist seine Geschichte) setzt sich mit mir eine Stunde an den Tisch, springt zwischendrin auf, um Materialproben zu holen, scheucht mich vor die Tür zu einer Probefahrt auf seinem eigenen Rad, weil wir in etwa eine Beinlänge haben, rät ab von neun Gängen („brauchst du nicht“), debattiert das Für und Wider der wahnsinnig schönen Holzschutzbleche. Ergebnis: ein Rad mit Unisex-Rahmen in dunkelblau matt mit honigfarbenem Brooks-Sattel und Ledergriffen, mit Kupferblechen und Kupferklingel, die bald aufs Schönste matt patinieren werden (ich: „Kriegen die grüne Patina wie Kirchendächer?“ Søren: „Nur wenn ich drauf pinkle“), mit drei Gängen von Sachs („Shimano ist Mist, das ist das Microsoft der Gangschaltungen“) und mit einem hohen Lenker, denn ich sitze gern gerade auf dem Rad. Die bauen das jetzt in aller Ruhe und nächstes Jahr hole ich es ab. Es wird das schönste Rad der Welt.

Und wie es der glückliche Zufall will, ist Søren Kuba-Spezialist. Er war schon oft dort, er wird Anfang nächsten Jahres mehrere Radtouren über die Insel führen und er wird mich vorher mit jeder Menge Geheimtipps versorgen für meinen Havanna-Monat. Es war ein sehr glücklicher Nachmittag.


Sögreni of Copenhagen, Sankt Peders Stræde 30A, 1453 København K

Søndag

Montag, 29. August 2011

Eltern weg, ältester Freund da (36 Jahre, Michi!), Alberheitsquotient hoch. Und ein paar letzte touristische To Dos abgehakt: Nasen plattgedrückt am Laden der Fahrradmanufaktur Sögreni und beschlossen, mir nächstes Jahr endlich mal ein richtig, richtig schönes Rad zu kaufen. Und dann den Schneckenaufgang des Rundetårn hochgelaufen.

Der Turm ist ein schönes Beispiel für die Pragmatik der Dänen: eine Mischung aus Observatorium, Universitätsbibliothek und Kirchturm. Selbst der Glockenboden wurde kreativ genutzt: zum Wäschetrocknen, Kräutertrocknen, zur Aufbewahrung von Rindsleder und zum Bemalen von Theaterkulissen.

Außen am Turm: ein Bilderrätsel, ersonnen vom Bauherrn Christian IV. Besonders gut gefällt mir das Fragezeichen mit den zwei Punkten. Wäre es übrigens nicht langsam mal Zeit für ein paar neue Satzzeichen? Dieses Fragezeichen zum Beispiel: perfekt für rhetorische Fragen. Ein umgedrehtes Ausrufezeichen: Ich bin zwar laut, aber ich meine es gar nicht so.

Ich hatte eine Farm in Afrika

Samstag, 27. August 2011

„Ich hatte einen alten hölzernen Wandschirm, bemalt mit Figuren von Chinesen, Sultanen und Negern mit Hunden an der Leine. Er hatte seinen Platz am Kamin. Abends, wenn das Feuer hell brannte, traten die Gestalten hervor und dienten als Bilder zu Geschichten, die ich Denys erzählte. Ich schaute ihn lange an, klappte ihn zusammen und legte ihn in eine Kiste; da mochten die Gestalten sich vorerst einmal ausruhen.“

Aus dem Kapitel „Abschied von der Farm“ aus Afrika, dunkel lockende Welt. In der Übersetzung von Rudolf von Scholz

Den Paravent, von dem hier die Rede ist, findet man heute in Karen Blixens Haus in Rungsted, und wenn man davor steht, glaubt man kurz, endlich am Boden all der Sedimentschichten angekommen sind, die sich über ihr Leben gelegt haben. Die oberste, weltberühmte sind die Bilder aus „Jenseits von Afrika“: Meryl Streep als Karen Blixen, Robert Redford als Denys Finch Hatton, Kenia als Afrika, Publikumsseufzer als Soundtrack. Die Haarwaschszene! Die Beerdigungsszene! Es war alles so verdammt ergreifend.

Der Film beruhte auf gleich mehreren Büchern von Tania Blixen, wie sich Karen als Autorin nannte (in England nutzte sie einen Männer- und ihren Mädchennamen: Isak Dinesen), die Bücher wiederum auf Szenen aus ihrem Leben: Kindheit in Dänemark, Flucht aus dem Elternhaus nach Kenia, wo sie eine Kaffeefarm betrieb, die Heirat mit Bror von Blixen, der ihr Geld verjuxte und ihr die Syphilis anhängte, die Liebesaffäre mit dem Großwildjäger Denys Finch Hatton, die Rückkehr nach 17 Jahren Afrika in ihr dänisches Geburtshaus, die ersten Buchveröffentlichungen. 1962 starb sie mit 77 Jahren, ein kleines, dürres Vögelchen von 35 Kilo, begraben unter einer Buche im schönen wilden Garten hinter dem Haus. Diesseits von Afrika, aber für immer mit der Ferne verbunden.

Das Haus ist hell und freundlich. Ihr Schreibtisch steht in einem Raum mit Blick zum Meer, viele Möbel sind mit ihr nach Afrika gereist und wieder zurück. Der Paravent, aber auch der bemalte Holzstuhl mit dem Korbgeflecht, auf dem Denys Finch Hatton so gern gesessen hat.

Karen Blixen Museet, Rungsted Strandvej 111, 2960 Rungsted Kyst