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Sic transit gloria mundi

Dienstag, 18. Januar 2011

Dienstag, der 18. Januar 2011, 15.30 Uhr: Meine 15 Sekunden Ruhm waren fällig. Ich hatte es ja schon angekündigt: Im Rahmen des Sydney Festival projiziert der amerikanische Konzeptkünstler John Baldessari die Namen von 100.000 Freiwilligen jeweils 15 Sekunden lang in einer 30 Meter langen Leuchtreklamen-Installation an die Fassade des Australian Museum. Natürlich hatte ich mich beworben. Neulich kam eine freundliche Mail mit der exakten Zeitangabe und einer Ortsbeschreibung, von wo aus man das Ganze am besten besichtigen könnte.

Und klar: Da waren schon welche, Dean und Rebecca und Alison und Stewart, die um 15.26 Uhr dran waren, ein willkommener Grund, die Mittagspause heute mal ein bisschen länger ausfallen zu lassen. Sie waren bei ihrer dritten Flasche Sekt und schenkten mir gleich mal ein Glas ein. „We’ll cheer for you when your name comes up“, versprachen sie. Und taten es auch.

Das Projekt klingt zunächst mal wie eine etwas einfallslose Replik auf Andy Warhols Prophezeiung, in Zukunft werde jeder 15 Minuten lang berühmt sein. Geschenkt. Das Interessante passiert, wenn man sich wirklich darauf einlässt: Von den 15 Sekunden Ruhm bekommt nämlich niemand etwas mit. Der Rest der Welt sowieso nicht, aber sogar ich selbst war in diesen 15 Sekunden, die mein Name aufflackerte, so sehr damit beschäftigt, ein Foto zu machen und mich vor dem Leuchtband fotografieren zu lassen, dass ich vielleicht gerade mal eine halbe Sekunde lang einen Blick auf das Kunstwerk geworfen habe. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Moment genossen oder auch nur richtig wahrgenommen habe. Eine sehr wirkungsvolle kleine Lektion über die Vergänglichkeit – und zwar nicht nur die des Ruhms.

Um beim Thema zu bleiben: Ich hatte anschließend im Rathaus zu tun, ich musste eine Eintrittskarte abholen. Und entdeckte dabei in einer kleiner Ausstellung der kommunalen Stadtplanung eine Vitrine, in der die höchsten Gebäude der Welt als 1:1000-Miniatur ausgestellt waren. Sehr hübsch die Notlösung, das neue Riesenbaby Burj Khalifa (ganz links, im Original 828 Meter hoch), doch noch unterzubringen, obwohl selbst das Modell alle Dimensionen sprengt.

Gute Ideen 1-3

Sonntag, 16. Januar 2011

Gute Idee Nummer 1: Ampersand, ein Café plus ein Laden für gebrauchte Bücher. Für 30.000 gebrauchte Bücher, um genau zu sein, darunter wunderbare Funde wie die signierte Erstausgabe von Jan Morris’ Trieste and the Meaning of Nowhere. Regelmäßig finden hier auch Buchclubs in Form von Champagner-Brunches statt: zu buchen über Books & Nooks. Ich werde berichten…

78 Oxford Street, Paddington, NSW 2011

Gute Idee Nummer 2: Vor dem Laden von Aesop, der australischen Kosmetikmarke, hängt ein Handlotion-Spender für Passanten. Unwiderstehlich.

72 a Oxford Street, Paddington, NSW 2011

Gute Idee Nummer 3: Hm – vielleicht ist das ja doch keine so gute Idee. Zumindest ist diese Hochzeitstorte mit kleinen Totenschädeln und Knochen eher was für Fortgeschrittene. Vermutlich hat die Tortenmacherin gerade ihre morbide Phase, die Website ist viel lieblicher.

Sweet Art, 96 Oxford Street, Paddington NSW 2011

Samstagnachmittagsschlendrian

Samstag, 15. Januar 2011



Paddington ist ein merkwürdiger Stadtteil. Seine Hauptstraße, die Oxford Street, ist die klassische lustige Boutiquen- und-Café-Meile, am Abend machen hier die Clubs auf. Aber sowie man sich ein paar Meter in eine Nebenstraße schlägt, steht man im Dorf vor viktorianischen Reihenhäusern mit schönen Gusseisengeländern, teils überwuchert von Frangipanibäumen oder Hibiscus. Und all das in völliger Stille. Ich habe vorhin eine milde Obsession für die gusseisernen Geländer entwickelt, fürchte ich. Jedes Haus scheint ein eigenes Muster zu haben – könnte man eigentlich ein schickes Memory-Spiel draus machen.

Markttag

Samstag, 15. Januar 2011

Der Paddington Market steht in jedem Reiseführer, aber das muss ja nicht gegen ihn sprechen: Dieses Samstagsritual ist eine entspannte Ansammlung von gut 200 Ständen rund um die Uniting Church in der Oxford Street, recht gemütlich, ohne große Schieberei (zumindest nicht morgens um 10 Uhr, wenn er aufmacht). Klamotten, Kunstgewerbe, Second Hand-Zeugs und wie immer und überall: Essen. Wir standen eine Weile sehr fasziniert vor einem Typen, der tolle Kartentricks vorführte und das Zauber-Kartenspiel (inklusive How to-DVD) auch verkaufte. Ich gebe zu, es hat in mir gezuckt. Stattdessen als erstes Souvenir der Reise: ein charmanter kleiner Salzlöffel aus Zinn mit einem Schnabeltier am Griff.

Workout(side)

Samstag, 15. Januar 2011

„Mutti, warum hauen sich die Leute da?“ Am Samstagmorgen verwandelt sich beinahe jeder Park – in diesem Fall der von Rushcutters Bay – in ein Outdoor-Fitnesscenter. Boxtraining links, rechts eine Yogaklasse unterm Baum, weiter hinten Cricket-Training, und ganz vorn ein Personal Trainer, der seine beiden Kunden Gewichte stemmen und im Zickzack um Hütchen rennen lässt. Dass es zwischendurch regnet, ist als Abkühlung höchst willkommen. Nur ein Mädchen aus der Yogaklasse flucht leise: Der herabblickende Hund steht ein bisschen rutschig auf der nassen Matte.

15 Sekunden Ruhm

Donnerstag, 13. Januar 2011

Am 18. Januar um 15.30 Uhr werde ich eine Viertelminute lang ein Kunstwerk sein. Und Ihr könnt das auch, nämlich so.

Göttlich

Dienstag, 11. Januar 2011

Dinner & movie, die klassische Abendbeschäftigung: auch die sieht in Sydney ein klitzekleines bisschen anders aus. Zum Beispiel, wenn man ins Govinda’s geht. Unten ist der Lotos Room, wo man meditativ chanten kann, wenn einem danach ist, im ersten Stock gibt es ein Restaurant mit vegetarischem indischem Büffet, an dem man sich anschließend stärkt – und im zweiten Stock einen Kinosaal, wie man ihn sofort nach Deutschland exportieren möchte. Keine Sitzreihen, sondern knallrote Liegereihen mit bequemen Kissen. Alle müssen sich die Schuhe ausziehen, was zu dieser Jahreszeit ohnehin nur das Abstreifen von Flipflops bedeutet. Sehr, sehr entspannt, sogar „The Social Network“, der heute gezeigt wurde, war auf diese Weise ganz erträglich.

112 Darlinghurst Rd, Darlinghurst NSW 2010, 02 9380 5155. Hier gibt es das aktuelle Programm, buchen kann (und sollte) man auch gleich online.

Bis(s) zur Happy Hour

Montag, 10. Januar 2011

Jeden Abend in der Dämmerung ziehen Vogelschwärme über meinen Balkon. Dachte ich zumindest anfangs. Bis ich eines Tages ein bisschen genauer hinguckte und entdeckte: Verdammt, es sind gar keine Vögel. Es sind… was zum Teufel sind das für Viecher?

Hier ist die Antwort: Flughunde. Fledertiere. Tagsüber hängen sie in den Bäumen des Botanischen Gartens und stören nicht weiter – es sei denn, bei großer Hitze. Dann versuchen sie, ihre Flughäute mit ihrem eigenen Urin zu kühlen, und stinken in der Folge ganz gewaltig zum Himmel. Abends gehen sie auf Nahrungssuche und fliegen in die Vororte von Sydney.

Mich entzückt immer wieder, dass man hier mitten in der Großstadt wie in einem Freiluftgehege lebt. Was man sonst nur aus dem Zoo kennt, läuft hier über die Straße oder fliegt einem auf den Balkon wie neulich der Lori. Gestern auf dem Heimweg aus der Innenstadt liefen zwei Ibisse eine Weile neben mir her. Bestimmt gewöhne ich mich an den Anblick so schnell wie an den von Tauben und Spatzen zuhause, aber vorerst habe ich das überhaupt nicht vor.

You can Ukulele

Samstag, 8. Januar 2011

Mein Gott, was für ein Spaß. Tatsächlich tauchten zum Event „You can Ukulele“ – Teil der First Night, Startschuss zum Sydney Festival – ein paar hundert Ukulele-Spieler auf, um gemeinsam mit Ali Mills und den Ukuladies eine Aborigine-Version von „Waltzing Matilda“ zu spielen. Mir hatte der reizende Stanislav Ulitzka die Ukulele seines siebenjährigen Sohns geliehen (danke, Stani, und danke, Alexander), und die letzten Tage hatte ich per Youtube-Video Ukulele gelernt. Oder zumindest verstanden, wie rum man so ein Ding hält. Das Lied hat zwar nur drei Akkorde, aber ich habe trotzdem zwei Tage gebraucht, bis ich meine Wurstfinger so weit hatte, die auf den vier Seiten zu finden.

Heute also der große Tag. Vor der Bühne im Hyde Park steht neben dem Erste-Hilfe-Zelt eines für Ukulele-Anfänger. Der nette Herr oben links stimmt brummelnd meine Ukulele („she’s a bit touchy“), die Dame unten rechts weist mich in die Philosophie der Ukulele ein („such a happy little instrument, isn’t it?“). Und Clarence, ein 70jähriger Maori aus Neuseeland mit gelbgrüner Perücke und Blumenkette, gibt mir Last-Minute-Unterricht („C, dann G. G!“). And off we go. Die anderen sind gottlob so fantastisch, dass es überhaupt nicht auffällt, was ich da spiele.
Hinterher rede ich noch ein bisschen mit Clarence. Er drückt mir einen Zettel mit der Überschrift „Grandparents on tour“ in die Hand: Er bricht im April mit seiner Frau zu einer achtmonatigen Wohnmobil-Reise durch Australien auf und spielt auf der Ukulele überall Charity-Konzerte für Opfer von Agent Orange. „Ich bin Vietnam-Veteran“, sagt er. „Das ist das Wenigste, was ich tun kann.“

Here comes the sun

Freitag, 7. Januar 2011

Um 3 Uhr aufgestanden. Um 3.30 Uhr geflucht, weil das bestellte Taxi nicht da war. Um 3.40 Uhr doch noch eins gekriegt: das, aus dem die betrunkenen Nachbarn gerade herausfielen. Um 4 Uhr an der Harbour Bridge angekommen, zwei Minuten, bevor sie die Türen schlossen. Jeden ersten Samstag im Monat kann man nämlich den legendären Bridge Climb in der Morgendämmerung machen und nach dem australischen Kalender (wir hatten den ja schon mal) ist das heute.

Der Bridge Climb ist zunächst mal kein Vergnügen. Man wird in merkwürdige Strampelanzüge gesteckt, mit Sicherungsgürtel versehen, bekommt Stirnlampe, Regenjacke und Kopfhörer für die Anweisungen des Guides angeklippt, muss in ein Alkoholtestgerät pusten, unterschreiben, dass man selbst schuld ist an allem, was ab jetzt passiert, und sein gesamtes Leben in einem Schränkchen verschließen: Handy, Fotoapparat, Uhren, Schmuck, alles muss am Boden bleiben. Weil es sonst vermutlich sowieso dorthin fiele.

Dann schlängelt man sich hintereinander über schmale Stege durch das Stahlgerüst, steigt enge Treppen hinauf, hoch und immer höher. Bis man den eigentlichen Brückenbogen erreicht, sind gute zwei Stunden vergangen, und jetzt verstehe ich auch die Startzeit im Stockdunklen. Denn jetzt passiert plötzlich was Unerhörtes: Es wird Licht.

Mein Freund Clemens hatte mal während eines Thailand-Urlaubs die Theorie entwickelt, dass in den einschlägigen Urlaubsorten jemand von der Tourismusbehörde hinterm Baum steht, „Uuuuuuund Action!“ in ein Walkie-Talkie spricht und damit Fischerboote im genau richtigen Moment von links nach rechts durch die rosarote Sonne fahren lässt. Ich glaube, wir dümpelten gerade bei Sonnenuntergang im lauen Wasser, jeder ein eiskaltes Chang-Bier in der Hand, da kommt man schon mal auf solche Theorien. Jedenfalls: In der Dämmerung auf die Harbour Bridge zu steigen, sehr weit unter sich die Oper und den Rest der Stadt zu sehen, plötzlich von einem heftigen Regenschauer begossen zu werden, fünf Minuten später im Trockenen ergriffen und dankbar die Sonne aufgehen zu sehen – und sich dann umzudrehen und den größten Regenbogen aller Zeiten über sich zu haben, das war einer der besten „Uuuuuuund Action!“-Momente meines Lebens. Ich habe ja ohnehin derzeit den Eindruck, jemand hat mir die Hauptrolle in einem ziemlich tollen Blockbuster zugewiesen, und Mannomann, versteht der was von Special Effects.