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Looking for Evita

Donnerstag, 3. Februar 2011

Auf die Gefahr, dass sich als meine Hauptinteressen beim Reisen Essen und Friedhöfe entpuppen sollten: Ich war sowieso im Stadtteil Recoleta unterwegs und da dachte ich mir: Bringen wir’s gleich hinter uns, das Evita-Ding. Irgendwo hier auf dem Friedhof La Recoleta muss sie liegen, das wusste ich, aber wo? Es war kurz vor Toresschluss, es gab keine Touristenmassen mehr, denen man folgen könnte (die simpelste Strategie für Menschen ohne Reiseführer), und der Plan, der am Eingang verteilt wird, ist eher verwirrend als hilfreich. Aber wie immer ist das Suchen ja schöner als das Finden.

Die Stadt der Toten hat ihre besseren und schlechteren Viertel wie jede andere Stadt auch. Einige der Mausoleen sind aufgebrochen und mit Plastikmüll gefüllt, andere in bestem Zustand und sogar mit Klimaanlage ausgestattet. Ungewöhnlich: Auf den Grabplatten steht hier nur das Sterbedatum, nicht das Geburtsdatum. Der Tod wird festgehalten, nicht das Leben.

Am Ende habe ich sie dann doch noch gefunden, indem ich den Friedhofswärtern nachging, die die letzten Besucher verscheuchten. Und die standen natürlich vor Evita, im Familiengrab der Duartes in einer kleinen Nebenstraße des Friedhofs.

Großspurig

Mittwoch, 2. Februar 2011

Hier ist alles ein bisschen größer als woanders und vielleicht auch ein bisschen größenwahnsinniger. Gestern musste ich auf dem Weg zum Tangoschuhladen die mit 140 Metern angeblich breiteste Straße der Welt überqueren, für die man als Fußgänger mindestens zwei Ampelphasen braucht. Noch nie habe ich eine Fußgängerampel gesehen, die einem per Countdown mitteilt, wie viele Sekunden einem noch für einen Rettungssprint auf eine Verkehrsinsel bleiben, bevor die Wagenlawine über einen rüberdonnern wird, sieben, sechs, fünf, vier Sekunden, oh Gott!

Heute dagegen war es beschaulicher, wenn auch nicht minder grandios. Einer der bekanntesten Buchläden der Stadt ist El Ateneo Grand Splendid, ein ehemaliges Theater, in dessen Logen man sich jetzt mit einem Stapel Bücher zurückziehen kann und auf dessen Bühne – dort, wo einst Carlos Gardel aufgetreten ist – man jetzt einen Cortado trinken kann.

Hier ein kleiner filmischer Rundgang.

Ein absolut magischer Ort – vorausgesetzt, man spricht Spanisch. Es gibt ein einziges schmales Regal mit englischer Literatur, darin findet sich allerdings ausschließlich Flughafenschrott.

Avenida Santa Fe 1860, Recoleta

Große Oper

Sonntag, 30. Januar 2011

„Hallo, hier ist Stephen. Ich rufe an vom Sydney Opera House. Sie haben heute nachmittag um 17 Uhr eine Führung gebucht. Ich wollte nur Bescheid sagen: Wir können alles sehen, aber nicht in den großen Konzertsaal, da wird geprobt. Wollen Sie den Termin verschieben?“ Nein, will ich nicht. Aber ich bin wieder mal entzückt über den Service hier. Eine normale Touri-Führung, und man wird persönlich per Handy verständigt, nur weil ein Saal nicht zugänglich ist?

Die Führung besteht dann sowieso nur aus Stephen, zwei Chinesen und mir. Wir gehen durch die Eingeweide der Oper, hören Musikfetzen eines Opernhighlights-Konzerts von hinter der Bühne, gucken doch noch kurz in den großen Konzertsaal, wo gerade der Soundcheck von Cat Power stattfindet, die ich heute Abend hier sehen werde.

Die Oper ist von innen mindestens so atemberaubend wie von außen. Wilder, roher, als das elegante Äußere vermuten lässt. Der Bau hat 16 Jahre gedauert, die Kosten sind von 7 auf 102 Millionen Dollar angeschwollen, eine Regierung ist darüber gescheitert, der Architekt Jørn Utzon wurde aus dem Land getrieben. Dagegen ist der Bau der Elbphilharmonie ein Schweizer Uhrwerk.

Abends dann Cat Power. Somnambule Lieder, die Stimme mal Nebel, mal Nebelhorn. Sehr schöner Abschied aus einer sehr schönen Stadt.

Die Sache mit den Hotels

Sonntag, 30. Januar 2011

Lange habe ich nicht kapiert, dass hier mit Hotels Pubs gemeint sind. Das Old Fitzroy Hotel ist so eins, gut hundert Jahre alt, die klassische Bierschwemme. Wobei: nicht ganz. Teil des Pubs ist ein Theater, die Heimat der Off-Theatertruppe Tamarama Rock Surfers. Die bieten ein prima Package für einen entspannten Kneipen- und Kulturabend: „A beer, a laksa & a show“. Für 35 AUS$ bekommt man ein Bier, eine leckere malayische Suppe und eine Vorstellung, in diesem Fall: Stand-Up Comedy von Arj Barker, der die Gags seines neuen Programms an einem willigen Publikum von circa 40 Leuten ausprobierte. Sagen wir mal so: Die Suppe war heißer.

129 Dowling Street, Woolloomooloo, NSW 2011

Feierabend

Mittwoch, 26. Januar 2011

Über die Flughunde hier in Sydney hatte ich ja schon berichtet. So sehen sie aus, wenn sie Feierabend haben, nämlich den ganzen Tag: entspanntes Abhängen in den Bäumen des Botanischen Gartens.

Und wenn wir schon beim Abhängen sind: Dieses Spinnennetz in einer der vielen, vielen ruhigen Ecken des Botanischen Gartens hatte einen Durchmesser von gut anderthalb Metern, damit könnte man locker auch einen Flughund fangen. Gottlob war die Urheberin weit und breit nicht zu sehen.

And now for something completely different

Dienstag, 25. Januar 2011

Das Fernsehprogramm ist wieder mal mies? (Mit Ausnahme der Dschungelshow, versteht sich.) Dann möchte ich dringend den Berliner Internetfernsehsender Network Awesome empfehlen. Hier werden jeden Tag sechs neue Perlen der TV-Historie eingespeist. Heute zum Beispiel die Muppet Show mit Liberace (einer der Höhepunkte: Miss Piggy als Melina Mercouri mit Sirtaki tanzenden Schweinen), eine Dokumentation über Josef Beuys und eine Show mit Sammy Davis Jr. Gestern eine Folge von „What’s My Line?“, dem amerikanischen Vorbild von „Was bin ich?”, mit Yves Saint Laurent als zu Erratendem. Absolut suchtbildend.

via sugarhigh

Eintauchen

Montag, 24. Januar 2011

Es hatte ein bisschen geregnet, die meisten waren schon nach Hause gegangen. Das Bad würde ohnehin in einer Stunde schließen. Die wenigen, die noch geblieben waren, saßen unter dem weißen Dach und leerten die letzten Tupperdosen. Unten im Pool schwammen nur ein drahtiger 60jähriger und zwei Frauen, die nach jeder zweiten Bahn ein Schwätzchen am Beckenrand hielten. Hier war er, der Ort, den ich die ganze Zeit gesucht hatte: einer dieser magischen, romantischen, verlorenen Plätze, an denen die Zeit gnädig vorbeigegangen ist.

Wylies Baths ist ein Meerwasserpool, ähnlich wie das Icebergs am Bondi Beach unmittelbar an den Pazifik angrenzend, aber ein in den Stein gehauenes Naturbecken und anders als das Icebergs angenehm verwahrlost. Der Boden und die Seiten des Beckens sind von Algen bewachsen, die Holzgeländer, die ins Wasser führen, wackeln schon ein bisschen. Oben auf der Holzplattform, die sich auf hohen Streben über den Pool erhebt, gibt es einen wunderschönen alten Umkleideraum (unten rechts), in dem ich lange ganz allein saß. Der stillste Ort, den ich bislang in dieser Stadt erlebt habe.

Das Bad ist 1907 vom Langstreckenschwimmer Henry Alexander Wylie gegründet worden, mit Hilfe eines speziellen Pachtvertrags für ein Grundstück unterhalb des Hochwasserpegels. Seine Tochter Wilhelmina und ihre beste Freundin Fanny Durack waren die ersten Australierinnen, die an einem olympischen Schwimmwettkampf teilnahmen, 1912 in Stockholm. Man wollte sie erst nicht fahren lassen, erst als sie ihre Reisekosten selbst übernahmen, bekamen sie die Erlaubnis zur Teilnahme. Fanny (links) holte Gold auf 100 Meter, Mina Silber.

Natürlich bin ich geschwommen. Schön langsam, weil ich mein Glück nicht fassen konnte, sanft getragen vom Salzwasser und von der Geschichte. Hinterher mit nassen Haaren ein Sandwich vor dem kleinen Kiosk. Einer der besten Tage in Sydney bisher.

Fanny Durack liegt übrigens auf dem Friedhof von Waverley begraben, den ich auf dem Weg hierher überquert hatte, mit ewigem Blick aufs Meer. Und wenn sich jetzt auch noch herausstellt, dass sie die Urgroßmutter von Terry Durack war, dann…

Wylies Baths, Neptune Street, Coogee, NSW 2034

Ruhe sanft

Sonntag, 23. Januar 2011

Bislang wollte ich immer auf dem Cimetière du Vieux-Chateau im südfranzösischen Menton nahe der italienischen Grenze beigesetzt werden, hoch über der Stadt mit Blick aufs Meer, möglichst direkt neben dem britischen Rugby-Erfinder Reverend William Webb Ellis, dessen Grabinschrift seinen „fine disregard for the rules“ lobt. Aber seit heute gibt es eine Alternative: den Friedhof von Waverley, gelegen auf dem Küstenspazierweg von Bondi nach Bronte Beach.

Ins Schwimmen kommen

Sonntag, 23. Januar 2011

Vielleicht ist dies der berühmteste Swimmingpool der Welt, zumindest aber einer der schönsten: Der Bondi Icebergs Club, 1929 von ein paar Rettungsschwimmern gegründet, die auch im Winter trainieren wollten, liegt am südlichen Rand von Bondi Beach. Um Clubmitglied zu werden, musste man sich ursprünglich strengen Regeln unterwerfen: fünf Jahre lang an drei von vier Sonntagen Rennen schwimmen, dann war man drin. Ich wollte die ganze Zeit schon hierher, aber heute gab es einen richtig guten Grund: ein Charity-Schwimmen zugunsten der Opfer der Queensland-Flutkatastrophe. Klassischer Aussie-Humor: Schwimmen für Flutopfer, aber der Club war voll mit gut gelaunten Leuten, die zu Schwimmwettkämpfen antraten. Wild gemischt: Da schwamm eine Vierjährige neben Mitgliedern der Basketballmannschaft Sydney Kings.

Der Pool liegt unschlagbar schön: direkt am Meer, das alle paar Minuten dramatisch ins Becken schwappt. Es stört niemanden – die äußere Bahn ist zwar nicht leicht zu schwimmen, aber ein prima Training.

Bondi Icebergs, 1 Notts Avenue, Bondi Beach, NSW 2026

Lesen und leben lassen

Mittwoch, 19. Januar 2011

Angela Purnell hatte letzten Herbst eine ziemlich großartige Idee: Wieso nicht zwei der angenehmsten Beschäftigungen der Welt – Lesen und Essen – zu einer neuen Form von Buchclub kombinieren? Also veranstaltet sie in Cafés, Cocktailbars und Schokoladenshops Lesungen und Diskussionsveranstaltungen – nein, die Wörter streichen wir gleich wieder, denn was hier tatsächlich stattfindet, ist die perfekte Fusion von Debatte und Dekadenz. Wie heute zum Beispiel in der Präsidentensuite des feinen Observatory Hotel: Maniküre & Martinis zum neuen Roman der australischen Bestsellerautorin Monica McInerney, At Home with the Templetons, der einem vorab hübsch verpackt nach Hause geschickt wurde. Das Buch ist keine literarische Glanzleistung, taugte aber allemal für ein lebhaftes Gespräch unter 15 lustigen Frauen, von der Psychiaterin bis zur Wein-Vermarkterin. Besonders nach dem zweiten Lychee-Martini wurde es interessant… Zwischendrin konnte man sich eine Maniküre verpassen oder einfach nur die Hände massieren lassen: göttlich.

Die Buchclubs (im heutigen Fall inklusive Drinks, Essen, Maniküre und Buch 65 AUS$, ein echtes Schnäppchen) finden ein- bis zweimal im Monat statt, zu buchen unter Books & Nooks.