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Das große Gelb

Samstag, 28. Mai 2011

Das Schöne am Alleinreisen ist ja, dass man seinen Obsessionen völlig ungehindert folgen kann. Nach Magnum gestern heute also: Ananas. Ich habe hier praktisch jeden Tag eine gegessen, Gegenwehr wäre auch sinnlos gewesen bei Stücker 50 Cent und diesem überwältigenden Duft. Auf Oahu befindet sich die historische Dole Plantation, die heute in klassisch amerikanischer Tradition ein Vergnügungspark mit Huschebahn und Riesenshop ist.

Was für eine Heidenarbeit Anbau und Verarbeitung dieser Stachelbiester ist, wird erst hier klar: Ananas werden von Hand gesetzt und geerntet, bis zur ersten Frucht dauert es 20 Monate. In fünf Jahren gibt es nur drei Ernten, und die finden in Schutzkleidung statt, die eher einer Rüstung gleicht. Obwohl die Ananas ursprünglich gar nicht auf Hawaii heimisch war, wurde sie durch die Plantagen und die damals weltgrößte Konservenfabrik von James Dole zu einem Exportschlager: Einst kamen 75 Prozent der Weltproduktion aus Hawaii.

Kleiner Ananas-Grundkurs: Die Reife erkennt man nicht an der Farbe, sondern am Duft. Wenn sich aus dem Inneren der Krone leicht ein Blatt zupfen lässt: kaufen! Ananas reift kaum nach, es lohnt sich also nicht, eine unreife zu kaufen und liegen zu lassen. Auf der Dole-Plantage werden die reichlich verteilten Probierstücke übrigens mit Li Hing Powder bestreut, einer für mich sensationellen Entdeckung: Extrakt von salzig eingelegten Pflaumen und Lakritz, süß-salzig-sauer und einfach suchtbildend.

Dole Plantation, 64-1550 Kamehameha Hwy., Wahiawa

Such a perfect day

Montag, 23. Mai 2011

Den Wecker auf 6 Uhr gestellt. Um 6.30 Uhr allen Ernstes aufgestanden. Um 7 Uhr losgefahren. Um 7.15 Uhr losgegangen. Um 8 Uhr auf dem Gipfel des Diamond Head gestanden. Mich um 8.02 Uhr gefragt, warum ich drei Wochen gebraucht habe, um mich endlich dazu aufzuraffen.

Der Diamond Head, das Wahrzeichen von Honolulu, ist ein Vulkankrater direkt neben Waikiki, ich sehe ihn von meinem Balkon aus. Auf hawaiianisch heißt er Le’ahi, die Braue des Tunfisches. (Was merkwürdig ist, da der Tunfisch einer der wenigen heimischen Fische ohne jegliche Brauen ist, im Gegensatz zum Mahi-mahi oder zum parrotfish. Aber okay, ich werde mich nicht mit Hawaiianern streiten.) Den Aufstieg schafft man in gut 30 Minuten, oben wird man mit einer anständigen steifen Brise belohnt (als Norddeutsche stehe ich auf so was) und einem ebenso umwerfenden Blick über Waikiki und Weialae.

9 Uhr, zweite Station: der Wochenmarkt gleich am Fuß des Diamond Head. Man hatte mir vorher geraten, unbedingt ungefrühstückt dorthin zu gehen. Ein guter Rat, denn: frischer Ananassaft, dazu Leinsamen-Karotten-Ananas-Hafer-Muffins, gefolgt von einem Ingwer-Minz-Serranochili-Limonen-Drink, dann zwei gegrillte Abalonen (für die ich in China das Zehnfache gezahlt hätte… okay: habe) – und das war nur der erste Gang. Man möchte auf Knien über diese Markt robben, denn erst hier wird einem klar, was für ein gesegnetes Land Hawaii ist: frische Shrimps aus Kauai, Kaffee aus Kona, Muskatnüsse (unten rechts) und Vanilleschoten aus Paauilo, fünf Jahre in der Wabe gereifter Honig von Wildbienen, Hawaiian Red Veal (Fleisch von Kälbern, die schon ein bisschen auf die Wiese durften), die ersten heimischen Mango und natürlich Ananas und Papaya bis zum Abwinken. Jetzt noch eine frische junge Kokosnuss zum Dessert und vielleicht noch selbstgebackenen Pecan Crunch? Ein Ono Pop-Eis in der Geschmacksrichtung Surinamkirsche-Nelke oder Orange-Zimt oder Kalamansi-Koriander oder Feige-Feta-Honig oder… bringt mir hier raus.

Saturday Farmer’s Market, Kapiolani Community College, 4303 Diamond Head Road, Honolulu. Jeden Samstag von 7.30 Uhr bis 11 Uhr

In Honolulu steht der einzige Königspalast der USA. (Herr Jauch, das wär‘ was für 125.000.) Der Iolani Palace – von einer Größe, die in Europa gerade mal für einen unteren Grafen gereicht hätte – wurde 1879 vom letzten König Kalakaua gebaut. Zu diesem Zeitpunkt regierte er nur noch über 39.000 Untertanen. Als Captain Cook die Inseln gut 100 Jahre zuvor „entdeckt“ hatte (sie waren ja schon immer da), lebten auf Hawaii zwischen 400.000 und einer Million Menschen. Die Engländer und nach ihnen die Amerikaner schleppten Masern, Grippe, Geschlechtskrankheiten ein und damit das Todesurteil für die Inselbewohner. Selbst gegen einfache Erkältungen hatten sie keine Abwehrkräfte, sie starben zu Tausenden.

Kalakaua, the merrie monarch, muss ein sehr aufgeschlossener, unternehmungslustiger König gewesen sein. Als erster Herrscher der Welt segelte er einmal um die Erde. In New York besuchte er Thomas Alva Edison und ließ als einer der ersten seinen Palast mit Telefon und Glühbirnen ausstatten. (Sehr nützlich, denn so konnte er den Haushofmeister im Keller anrufen, der das Licht im ganzen Palast zentral an- und ausschaltete. Lichtschalter gab es nicht in den Räumen.) Als er 1891 starb – ironischerweise im Palace Hotel, San Francisco –, beerbte ihn seine Schwester Lili’uokalani, die letzte Regentin Hawaiis. 1893 wurde sie von einer Vereinigung amerikanischer Zuckerplantagenbesitzer abgesetzt, 1895 wurde die Republik Hawaii ausgerufen, 1898 wurde sie von den USA annektiert. Königin Lili’uokalani wurde im Palast eingekerkert und verlegte sich aufs Handarbeiten und Komponieren. Beides sehr erfolgreich: Sie schrieb unter anderem den Welthit Aloha Oe. 1993 unterschrieb der damalige US-Präsident Bill Clinton eine Resolution, in der sich Senat und Abgeordnetenhaus 100 Jahre nach dem Putsch offiziell für die amerikanische Beteiligung an dem Staatsstreich entschuldigten.

Der Palast wirkt auf herzzerreißende Weise wie gerupft. Möbel und Ausstattung sind in alle Winde verstreut, auf irgendwelchen Auktionen versteigert worden. Hin und wieder taucht noch mal ein Stück des Original-Interieurs auf – in Australien, in Iowa, neulich wurde sogar ein alter Sessel an der Küste angeschwemmt –, es wird weltweit danach gefahndet.

Iolani Palace, 364 South King Street, Honolulu. Führungen Di und Do viertelstündlich 9 bis 10 Uhr, Mi, Fr und Sa 9 bis 11.15 Uhr

Ein Kapitel in der traurigen Geschichte des hawaiianischen Königshauses spielt an meinem nächsten Ziel und vorläufigen Lieblingsort der Insel, Queen Emma’s Summer Palace. Klingt formidabel, aber ich bin zweimal daran vorbeigefahren, bis ich dann doch die enge Aufffahrt gefunden habe, die zu einem wundersamen kleinen Häuschen führt:

Auf dem Parkplatz standen gerade mal vier Autos, eine freundliche ältere Dame machte gleichzeitig Kasse und Führung. Königin Emma – Emma Kalanikaumakaamano Kaleleonālani Naʻea Rooke, soviel Zeit muss sein –, die Ehefrau von König Kamehameha IV., zog sich hierher nach dem Tod ihres Sohnes und ihres Mannes zurück. Sie legte sogar ihr Schlafzimmer näher an das Küchengebäude heran, um sich nicht so allein zu fühlen. In den Schaukästen, an den Wänden dieses von milden Lüften durchwehten Hauses: europäisches Silberbesteck, Federschmuck der hawaiianischen Häuptlinge – und Zeichnungen des mit vier Jahren gestorbenen Prinzen Albert, der lieber Feuerwehrmann als König werden wollte. Ein Foto zeigt ihn in der roten Uniform der Feuerwehr von Honolulu. Es bricht einem das Herz.

Wie immer war das Fotografieren der Innenräume leider verboten, aber hier kann man einige Bilder sehen: Queen Emma’s Summer Palace, 2931 Pali Highway, täglich von 9 bis 16 Uhr geöffnet.

Weiter: den Pali Highway hinaus zum Pali Lookout. Landschaft angeguckt. Luft angehalten.

Dann: die Schnapsidee gehabt, mir Piraten der Karibik IV anzugucken. Dabei habe ich schon Teil II und III gehasst. (Irgendein Rezensent schrieb so richtig: Man fand’s mal besser, als man dachte, dass Captain Jack Sparrow schwul sei.) Teil IV ist hier auf Oahu gedreht worden, es war also… Recherche. Bin bei circa Minute 27 eingeschlafen und bei Minute 78 wieder aufgewacht. Der Film dauerte dann leider noch bis Minute 141. Aber Hawaii sah hübsch aus.

Danach: nach Hause gefahren. Vor dem Haus ein paar Frangipani-Blüten aufgelesen. Das Zeug liegt hier einfach so auf der Straße, das fällt von den Bäumen. Es ist so unfassbar ungerecht.

Dann habe ich mich endlich wieder hingelegt. Es war kurz nach 16 Uhr. Perfect day.

Ihre Lieblichkeit

Sonntag, 15. Mai 2011

Kanoe Miller ist 55, eine hinreißend schöne Frau. 1973 war sie mal Miss Hawaii, seit 1977 – also seit 34 Jahren – tanzt sie von Montag bis Samstag zur Cocktailstunde den Hula im Hotel Halekulani, direkt am Strand. Bis jetzt bin ich dem Hula aus dem Weg gegangen, ich wollte mir das Aloha-Gefühl nicht kaputtmachen lassen. Wie dumm von mir, denn seit heute weiß ich: Hier ist etwas unerschütterlich Liebliches am Werk, das auch nach mehr als 10.000 Vorstellungen – wie im Fall von Ms. Miller – ganz frisch und unschuldig wirkt. Und wahnsinnig elegant.

Mag aber auch sein, dass ich einfach nur an den richtigen Ort geraten bin. Das Halekulani ist das Lieblingshotel von Barack Obama, wenn er seine alte Heimat besucht (über den Obama-Tourismus mal an anderer Stelle), und die Outdoor-Bar House Without a Key eine Legende für sich. Der bezaubernde Name ist der Titel des ersten Charlie Chan-Krimis von 1925. Darin klärt Hawaiis berühmtester Detektiv (zu Thomas Magnum kommen wir auch später) einen Mordfall in einer Villa auf, die genau an der Stelle gestanden hat, an der ich jetzt einen Planter’s Punch trinke und Ms. Miller und den Sunset Serenaders zuschaue – wie meist nicht allein. In diesem Fall ist es eine lustige Viererbande aus Colorado, darunter der Koch George, der mir sofort die besten Restaurants der Insel in den Block diktiert und mir auf seinem iPhone Fotos seines Sohns Freeman zeigt, der angeblich den Weltrekord im Liegestütz hält, 135 in zwei Minuten. Den Fotos nach zu urteilen könnte das sogar stimmen.

Jäger & Sammler

Freitag, 13. Mai 2011

„Waren das nicht die tollsten 90 Minuten Ihres Lebens?“ fragt Victoria am Ende des Rundgangs, der auf der Liste der tollsten 90 Minuten meines Lebens auf jeden Fall unter den Top Ten steht. Wir stehen im Garten von Shangri La, dem Haus von Doris Duke, und Victoria fragt uns, was wir aus dem Haus mitnehmen würden, wenn wir dürften. „Die versenkbare Fensterfront im Wohnzimmer“, sagt ein Mann, eine Frau: „den Mihrab“, eine Gebetsnische. „Den Kronleuchter aus dem Esszimmer“, „die Holzdecken“, „die Symmetrie überall“. Mir fällt nur ein: „Das Talent zu wissen, was man mit zuviel Geld machen kann.“

Doris Duke war eine sehr, sehr reiche Frau. Mit 12 erbte sie 100 Millionen Dollar (nach heutigem Wert circa vier Milliarden) von ihrem Vater, dem Gründer der American Tobacco Company. In der Klatschpresse war sie nur „das reichste Mädchen der Welt“. Aber anders als andere poor little rich girls des letzten Jahrhunderts wusste sie etwas mit ihrem Leben anzufangen. Sie war eine intelligente, eigenwillige, athletische Frau, gut 1,80 Meter groß. Sie beherrschte fünf Sprachen, schrieb Jazzsongs, sang in einem Gospelchor, lernte tanzen bei Martha Graham, spendete einen guten Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke und reiste, reiste, reiste. Auf ihrer Hochzeitsreise – sie war Anfang 20, ihr Mann ein 15 Jahre älterer Politiker, die Ehe hielt fünf Jahre – verliebte sie sich unsterblich: zuerst in islamische Kunst und Architektur, dann in Hawaii.

Eigentlich hatte sie nur zwei Wochen bleiben wollen, dann wurden es vier Monate. Sie freundete sich mit der Surflegende Duke „The Big Kahuna“ Kahanamoku und seinen fünf Brüdern an, ging mit ihnen surfen, paddeln und segeln. Schnell war klar: Hier wollte sie ihr Haus bauen, nicht wie geplant in Palm Springs. 1936 kaufte sie ein Grundstück östlich von Waikiki direkt am Pazifik, 1937 begannen die Bauarbeiten an Shangri La. Der Name stammt aus einem Bestseller jener Jahre, Lost Horizon von James Hilton, und bezeichnet eigentlich einen mythischen Ort in Tibet, wurde aber schnell zum Kürzel für jede Art von verstecktem Paradies.

Und gut versteckt ist Shangri La bis heute. Selbst wenn man die hohen Mauern hinter sich gelassen hat: von außen sieht das Haus völlig unspektakulär aus. Weiße Quader, ineinander verschachtelt, nach islamischem Vorbild rund um einen Innenhof gebaut – und gefüllt mit Schätzen aus allen Winkeln der Welt. Doris Duke kaufte in Syrien, Irak, Iran, Ägypten, Indien, Usbekistan, China, ließ Holzdecken in Rabat schnitzen und Kacheln in Isfahan fertigen, lieferte sich ein Bietgefecht mit dem Metropolitan Museum um einen Mihrab aus dem 13. Jahrhundert (der nach dem Angriff auf Pearl Harbor schnellstens in den Keller gebracht wurde). Aus der Türkei brachte sie bemalte, aber angekokelte Holztüren mit, die sie selbst in mühsamer Arbeit mit Schwämmchen vom Ruß befreite. Ein Museum war das Haus nicht, darin wurde gelebt, es wurde ständig umgebaut. An einer Wand ist ein kreisrundes Loch zu sehen, hier hat Doris Duke, damals fast 80, kurz vor ihrem Tod 1993 ein Ornament aus der Wand gemeißelt, um etwas anderes hineinzusetzen. Es blieb eine Lücke, in jeder Hinsicht.

Im Haus selbst darf nicht fotografiert werden, aber hier ist eine virtuelle Tour durch Shangri La. Es gibt drei Führungen täglich, Voranmeldung bei der Honolulu Academy of Art dringend nötig.

Danach habe ich mir in der Academy of Art noch eine Ausstellung angesehen, die beweist, dass man kein Geld braucht, um große Kunst zu besitzen. Herb und Dorothy Vogel – er Postangestellter, sie Bibliothekarin – haben in den frühen Sechzigern begonnen, Minimalismus und Konzeptkunst zu sammeln, die zwei Bedingungen erfüllen musste: Sie musste erschwinglich sein – und klein genug, um in ihre Zweizimmerwohnung in New York zu passen. Dort fanden sich am Ende fast 5000 Kunstwerke, darunter Arbeiten von Sol LeWitt, Robert Mangold, Roy Lichtenstein und Richard Tuttle. 2008 beschlossen sie, einen Teil ihrer Sammlung zu verschenken: Jeder der 50 Bundesstaaten bekam 50 Werke. Die 50 für Hawaii habe ich nun gesehen.

Völlig gerührt saß ich hinterher in der Sonne vor dem Museumscafé, dachte über die Vogels nach und über Doris Duke, über die Liebe zur Kunst und die Liebe zum Leben. Die eine wie die anderen haben nichts anderes gemacht als der Intuition zu folgen. Irgendetwas Fremdes, Aufregendes, unerklärlich Schönes hat zu ihnen gesprochen, und sie haben ganz einfach: hingehört. Ich blätterte ein bisschen in einem Buch über Shangri La, trank ein Glas Weißwein, aß Mahimahi mit Sobanudeln. Eine Kellnerin blieb vor meinem Tisch stehen, guckte mich an und sagte: „I’d like to be you.“ Ich auch, möglichst für immer.

Aloha III

Montag, 2. Mai 2011

Aber es ist noch nicht vorbei. Was heute noch geschah:

1. eine Ukulele bei Puapua gekauft. Weil ich seit Sydney davon träume, es ist ein so bezauberndes kleines Instrument. Jeden Nachmittag um 16 Uhr gibt es in ihrem Zweitladen im Sheraton eine kostenlose Unterrichtsstunde. Ende Mai werde ich eine Meisterin sein.

2. über das Surfen nachbedacht und es sofort verworfen. Aber sehnsüchtig geguckt, besonders beim Anblick des Surfboard-Parkplatzes am Waikiki Beach:

Und beim Anblick der Jungs, die das Zeug bewegen:

3. CNN geguckt, Osama tot. Weitergeschaltet: „Szenen einer Ehe” im schwedischen Original mit englischen Untertiteln. Was ist das bitte für ein Tag gewesen? Ich muss jetzt dringend meinen Jetlag ausschlafen, wahrscheinlich bilde ich mir das alles nur ein.

Wie schön 2

Freitag, 15. April 2011

Reisen führt im Idealfall dazu, dass man sich ganz neue Fragen stellt – möglicherweise auch unwillkommene Fragen. Aufrüttelnde Fragen. Existentielle Fragen. Wie diese hier: Sehen meine Knöchel alt aus? Müsste ich meinen Achselhöhlen mehr Aufmerksamkeit schenken? Welche Fragen man sich auch immer stellt, Shanghai hat auf jeden Fall die Antwort.

Samstagsprogramm

Samstag, 9. April 2011

Zeit für eine weitere kleine Diashow. Heute: Altstadtbummel.

Der Yu-Garten, etwa 400 Jahre alt, liegt mitten in der Altstadt – die beste Einführung in die chinesische Gartenkunst. Rasenflächen und Blumenbeete findet man hier nicht, dafür Karpfenteiche, Felsformationen, Pavillons, Brücken und einige symbolträchtige Pflanzen wie Bambus, Gingko, Päonien. Der Garten wurde von einem reichen Beamten der Ming-Zeit für seine Eltern angelegt. Bis er allerdings nach 18 Jahren Bauzeit 1577 fertig war, lebten die Alten schon längst nicht mehr. Damals wie heute waren Gärten und Parks zum Leben da, es sind Orte für Familienfeiern, Gesangsdarbietungen, Saufgelage.



Direkt neben dem Garten liegt in einem weiteren Teich eines der schönsten Teehäuser der Stadt, das Hu Xin Ting. Unten wird nur Tee serviert, oben Tee mit Beilage: Tofu, in Sojasauce gegarte Wachteleier, Klebreis im Bambusblatt, getrocknetes Schweinefleisch. Von hier oben hat man einen schönen Blick auf die Zickzack-Brücke, die zum Teehaus führt. Die Form wird oft gewählt, weil Dämonen sich angeblich nur geradeaus bewegen können, man durch neun Biegungen also vor ihnen sicher ist.

Der food court von Yu Yuan. Vielleicht die einfachste Art, zu chinesischem Essen zu kommen, denn hier muss man kein Wort sprechen, nur nehmen und nehmen und nehmen. Und zahlen und beten, dass man einen Platz findet.

In einer Großstadt sollten Haustiere möglichst klein sein. In Shanghai möglichst auch noch transportabel. Der alte Herr oben links hat seine Vögel mit in den Park genommen, damit sie sich mit anderen Vögeln unterhalten können (wildlebenden und anderen Käfigvögeln), der kleine Junge oben rechts führt seinen Goldfisch aus, im Tier- und Insektenmarkt nahe Xintiandi kann man dutzende verschiedengemusterter Kleinschildkröten und Grillen kaufen, die man ebenfalls gern mit sich herumträgt.

Das hat mir gefallen: Große Wäsche wird aus Platzmangel einfach mal zwischen zwei Straßenlaternen aufgehängt. Wäschediebe scheinen hier kein ernsthaftes Problem zu sein.

Die Tong Han Chun-Apotheke, eine der ältesten der Stadt, sieht ungefähr so aus wie eine Douglas-Filiale bei uns und hat auch circa solche Preise. Für diese Ginseng-Wurzel – die immerhin eine besondere ist, weil sich hier zwei Rhizome die Hand reichen, so die Erklärung – werden 339.000 Yuan verlangt, 36.000 Euro. Dafür sollte dann aber auch mindestens ein Extrajahr Lebenszeit drin sein. Ebenfalls empfehlenswert: gemahlene Süßwasserperlen, oral einzunehmen. Soll tolle Haut machen. Ich habe nichts gekauft, aber die Karte mitgenommen, falls jemand interessiert ist…

Taj me

Mittwoch, 30. März 2011

Das Taj Mahal hat vermutlich jeder Mensch auf der Welt schon gesehen, auch wenn er noch nie da gewesen ist. Muss man sich so etwas also angucken, das sechsmilliardste Foto machen? Vorher hätte ich gesagt: nö. Vorher.

Wir sind am späten Nachmittag hingegangen, dann, wenn das Licht am schönsten ist und die Reisebusse längst weitergefahren sind. Es sind viele indische Familien hier, Freundescliquen, die sich gegenseitig fotografieren. Oder einfach nur sitzen und schauen, wie wir.

Das Taj Mahal ist größer, als ich gedacht hatte, der Innenraum allerdings, der das Grab von Mumtaz Mahal erhält, der Lieblingsfrau des Mogulherrschers Shah Jahan, fast intim. 20.000 Arbeiter aus ganz Asien haben 20 Jahre daran gebaut, Marmor wurde über hunderte Kilometer herantransportiert, Onyx, Amethyste, Lapislazuli, Türkise, Jade, Koralle und Perlmutt für die Intarsien aus Persien, Russland, Afghanistan und China geholt. Als Shah Jahan ein zweites Taj aus schwarzem Marmor auf der anderen Seite des Flusses bauen wollte, ließ ihn sein Sohn Aurengzab entmachten und ins Fort von Agra sperren. Von dort hatte er immerhin einen guten Blick aufs Taj Mahal. Als er 1666 starb, wurde er neben seiner Frau beigesetzt – ein bisschen reingequetscht sieht sein Sarkophag aus, der auf rührende Weise die perfekte Symmetrie dieses Bauwerks zerstört.

Fast genau so berühmt wie das Taj Mahal selbst ist inzwischen das Foto von Lady Diana, die sich strategisch geschickt einsam auf eine Bank vor das Grabmal setzte, eine Märtyrerin der Liebe, so die Message. Vor dieser Bank bildet sich stets eine Warteschlange, genau da will man bitte fotografiert werden. Kurz vor Toresschluss war die Schlange weg, und auch wir konnten natürlich nicht widerstehen.

Think pink

Montag, 28. März 2011

Mein bisheriger Unlieblingstag der Reise: Jaipur. Und das liegt ausschließlich daran, dass wir bisher so maßlos verwöhnt waren. Jaipur ist die größte Stadt von Rajasthan, etwa 3,4 Millionen Einwohner. Und sie liegt, was wir schnell erfuhren, mitten in der Touristeneinflugschneise für Indientouren – ein Vorgeschmack auf das, was uns vermutlich am Taj Mahal erwartet. Teil des Touristenrituals: der Elefantenritt hoch zum Amber Fort. Die armen Elefanten warten in einer Art Taxischlange auf ihre Last und schaukeln sie über die steinerne Rampe zum Fort hoch. Okay, dann hat man das auch mal gemacht.

Oben: nicht nur internationale, sondern auch indische Touristen wie diese Mädchenklasse aus einer Privatschule.

Jaipur selbst, the pink city, ist nicht weiter aufregend. Die Altstadt ist in ein dreckiges Lachsrosa gehüllt, die Farbe des Willkommens, die anlässlich eines Besuchs des Prince of Wales 1876 der ganzen Stadt aufgedrückt wurde.

Natürlich auch hier wieder einige spektakuläre Bauten wie der Palast der Winde, in Wirklichkeit nur eine Fassade mit Fenstern, die den Damen des Hofes die Besichtigung des Stadtlebens ermöglichen sollte, ohne selbst gesehen werden zu können.

Und das Observatorium Jantar Mantar, das der astronomiebegeisterte Maharaja Jai Singh II ab 1727 zeitgleich mit der geometrisch angelegten Stadt bauen ließ – mit einer auch architektonisch beeindruckenden riesigen Sonnenuhr, die die Zeit auf zwei Sekunden genau anzeigt.

Aber wir bemerken leichte Ermüdungserscheinungen. Nochn Fort, nochn Palast, nochn Tempel… der klassische Überfütterungs-Ennui nach zu vielen zu überwältigenden Eindrücken. Wir müssen mal einen Tag auf Entzug gehen.

Markttag

Samstag, 26. März 2011

Der Armreifenwagen. Wir sahen oft Frauen, die die Arme bis zur Achsel voll mit Armschmuck hatten, fast wie eine Rüstung. Früher Elfenbein oder Kamelknochen, heute Plastik. Dafür bunter.

Der Saribortenmann.

So kommt man am schnellsten durch die engen Gassen: per Motorrad (mindestens zu zweit, oft zu viert), Motorrikscha oder Pferd.

Die Jungs oben machen Barfi, indische Süßigkeiten aus Kondensmilch und Zucker. Die Masse wird so lange gekocht, bis alles Wasser verdampft ist, dann wird je nachdem noch Safran, Kardamom etc. reingemischt. Nussbarfi gibt es auch, aus gemahlenen Mandeln, Cashewkernen oder Pistazien wird eine Art Marzipanmasse gekocht.

Und dann war da natürlich noch die örtliche Shoppingmall mit Ghee-Schälchen für den Tempelbedarf, gemischten Götterbildern und einer dollen Kosmetikabteilung. Rose kaufte eine Wunder-Augencreme mit totalabsolutechtwahr (klar doch) 24 Karat Gold für vier Euro. Ich kaufte ein Roll on-Deodorant, dessen Name mich sofort überzeugt hatte: HOPE (for men).