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Aufladen

Sonntag, 30. Januar 2011

Letzter Tag Sydney. Aufräumen, wegwerfen, saubermachen, die Zelte abbrechen. Am wichtigsten aber: noch mal alle Geräte an den Strom hängen. Den Kindle, das Handy, die Akkus meiner Kamera, die Akkus meines geräuschunterdrückenden Kopfhörers… Aufladen, Energie sammeln für den nächsten Flug und die nächste Station Buenos Aires.

Fast unglaublich, dass der erste Monat schon vorbei ist, und wie vorauszusehen, plage ich mich mit Abschiedsschmerz. Das wird mir jetzt noch weitere elf Mal passieren, schätze ich, mal mehr, mal weniger. Aus einigen Städten werde ich sicher lieber abreisen als aus Sydney, hier könnte ich gern noch ein paar Monate bleiben. War es also ein Fehler, mit dieser Stadt anzufangen? Auf keinen Fall. Ich halte es für eine gute Idee, ein Langzeitprojekt wie dieses mit einem Ort zu beginnen, der einem das Leben in der Fremde so leicht wie möglich macht. Wo man die Sprache spricht, das Klima verträgt, die Mentalität mag. Es wird noch anstrengend genug werden, sicher in Shanghai, wo die Kommunikation ein Problem sein wird. So schwer sollte man es sich am Anfang nicht machen. Dann lieber erst mal in das Nichtschwimmerbecken des Weltreisenden: nach Sydney. Um den Preis, dass man hier nie wieder weg will.

Wo er Recht hat…

Samstag, 29. Januar 2011

Roger Willemsen wird von vielen Leuten als etwas anstrengend empfunden, und gelegentlich geselle ich mich zu diesen Leuten. Aber was er hier über das Reisen sagt, unterschreibe ich zu 100 Prozent.

Warum sollte der Mensch reisen?

Willemsen: Der Mensch könnte sich anziehen lassen. Einmal von der Aussicht, sich selber zu verwandeln. Und zwar dadurch, dass er Zonen betritt in seinem eigenen Innenleben, die er ohne die Reisen nicht betreten hätte. Er liefert sich Zuständen des Ekels, der Angst, der Langeweile, des Nicht-Verstehens aus, und gleichzeitig konfrontiert er sich ganz objektiv mit anderen Gebräuchen. Mit anderen Formen zu trauern, zu trösten, zu lieben, albern zu sein, Humor zu entwickeln und so weiter. In all diesen Punkten gibt es Formen der Selbsterneuerung. Und dann ist es aber so, dass man die reale Vielfalt der Lebensformen eigentlich nur kennenlernen kann, indem man in sie eintritt. Das heißt auch, er sollte im Staub eines nordafghanischen Dorfes ebenso geschlafen haben wie in einer Hütte in Polynesien.

Das heißt, es gibt einen Unterschied zwischen Touristen und Reisenden.

Willemsen: Ja, den mache ich schon. Der Tourist ist derjenige, der die Augenblicksberührung sucht, der immer gern ein Foto machen möchte. Er lebt also im Lidschlagtempo. Er sagt «ich und der Eiffelturm», «ich und die Rialto-Brücke», «ich und der Assuan-Staudamm». Der Reisende will eigentlich eher verschwinden in den Räumen, will unsichtbar werden, will die Orte sehen, wie sie immer sind – auch wenn er selber nicht da ist.

Also geht es auch um Selbstverlust, um letztlich sich selbst zu finden?

Willemsen: Ja, ganz recht. Die Möglichkeit, selber vollkommen zu verschwinden, unscheinbar zu sein, sich zu verlieren, ist eine Bedingung dafür, sich selber zu gewinnen. Und in einem anderen Sinne tatsächlich, ja, sich zu besitzen. Um «ich» sagen zu können.

Gibt es die eine perfekte Art zu reisen, um dies zu erreichen?

Willemsen: Wissen Sie, das Entscheidende wäre, glaube ich, sich treiben zu lassen. Wie der Flaneur, der entweder durch die Großstädte zieht und nicht die Sehenswürdigkeiten miteinander verbinden will oder in der Ferne ankommt und sagt: Ich lasse mich treiben. Und da, wo Spannung ist, da bewege ich mich hin. Ich synchronisiere mein Innenleben auch eher mit der eigenen Erschöpfung, der eigenen Neugier, mit der äußeren Bewegung, als dass ich mich leiten lasse von der unterstellten Bedeutung, die Orte haben. Das hat mir immer am meisten bedeutet.

Aber Sie können auch verstehen, wenn das dann vielleicht ein Gefühl der Unzufriedenheit hervorruft? Wenn man drei Dinge sehen will und es am Ende nur für eins gereicht hat, weil man sich hat treiben lassen?

Willemsen: Ja, das könnte passieren, dass man sagt: Mensch, ich habe die Blaue Moschee verpasst. Aber das Wichtige ist am Ende doch, dass Sie etwas in Ihrem Innenleben finden, das der Blauen Moschee entspricht. Die Menschen unterstellen ja, wenn sie in die Blaue Moschee eintreten, dass sie von tiefer innerer Erschütterung befallen sind. Das Peinlichste auf Reisen ist, nicht erschüttert zu sein. Die Mona Lisa nicht aufregend zu finden. Und dann sagt man sich: Eine Szene, eine Umarmung, ein Duft irgendwo hat mir mehr Wirklichkeit zugefügt, als es das größte Kunstwerk getan hat. Der Tourist sagt immer – natürlich auch weil er seinen Jahresurlaub dort verbringt: Lass mich nicht im Stich, Sehenswürdigkeit, du sollst mich gefälligst erschüttern. Und dann steht er davor und ist ein wenig ratlos.

Das heißt, es geht am Ende nur um die Geschichten, die Situationen, Ereignisse?

Willemsen: Ja, genau. Ich nehme die Orte persönlich. Ich finde immer, dass ich wirklich nur dagewesen bin, wenn ich den Ort von allen anderen unterscheiden kann, die ich sonst gesehen habe.

FAQ

Donnerstag, 20. Januar 2011

Wie lange hast Du Dich auf diese Reise vorbereitet?
Ähm… nicht furchtbar lange. In Wirklichkeit gar nicht. Eine Woche vor Abreise habe ich mich impfen lassen (Hamburger: unbedingt ins Hamburger Impfzentrum gehen, nicht ins unfreundliche Bernhard-Nocht-Institut), ein paar Tage vorher einen Koffer gekauft, am Tag des Abflugs noch Visa-Anträge für Indien und China losgeschickt – kriminell spät alles, ich weiß. Letzteres funktioniert übrigens nur, weil ich zwei Reisepässe besitze. Ja, das geht, das wusste ich vorher auch noch nicht. Man kann einen sechs Jahre gültigen Zweitpass beantragen, wenn man einen guten Grund nennt, zum Beispiel eine Weltreise oder den Besuch Israels. Mit israelischem Einreisestempel lassen einen nämlich einige arabische Staaten nicht ins Land, da ist ein zweiter Pass nützlich.

Ansonsten wird akribische Reisevorbereitung überschätzt. Es besteht die Gefahr, dass man einer langen To-Do-Liste hinterherstolpert und keine einzige Entdeckung jenseits des Reiseführers macht. Ich bin ein großer Anhänger des planlosen Herumstreunens und des Zufalls. Am besten schaut man, was gerade so passiert: Meine Reiseführer sind die örtlichen Tageszeitungen und Stadtmagazine.

Warum ausgerechnet diese 12 Städte?
Warum nicht? Ich schätze, jeder hat da seine eigene 12er-Liste. Für die einen hätte unbedingt Paris, Rom oder Istanbul mit draufgehört, für die anderen Dakar, Hongkong und Vancouver. Ich habe am Tag nach WWM spontan 12 Städte auf ein Post-it geschrieben, damals waren noch Budapest, Reikjavik und Mombasa dabei. Es sind (mit Ausnahme von Sydney und London) allesamt Städte, die ich nicht kenne. Die aber eine gewisse Anziehungskraft für mich haben. Die Antwort auf die Frage lautet also: Sehnsucht.

Wo wohnst Du?
In möblierten Wohnungen. Ich mag Hotels, aber nicht für längere Zeit. Ich werde depressiv ohne eigene Küche. Ich will in Läden und auf Märkten einkaufen können, das macht für mich einen großen Teil des Lebensgefühls in den jeweiligen Städten aus.

Die Wohnungen in Sydney und Buenos Aires habe ich schon in Deutschland über Sabbatical Homes gefunden, eine Website, die mal als Wohnungstausch-Seite für Gastprofessoren gedacht war, inzwischen aber auch für Normalsterbliche nutzbar ist, die für ein paar Wochen oder Monate mieten wollen. Die weiteren Unterkünfte werden sich finden, ich plane nicht mehr als zwei Monate voraus.

Was machst Du da eigentlich den ganzen Tag?
Eigentlich dasselbe wie zuhause. Arbeiten (letzte Woche zwei Kolumnen und eine Reportage, diese Woche zwei Kolumnen, nächste Woche… ach, lassen wir das), lesen, Zeit im Internet verdaddeln (mal sinnvoller, mal nicht), Leute treffen. Was ich allerdings zuhause nicht tue: zwischendrin einfach nur mal eine halbe Stunde aufs Wasser starren.

Fühlst Du Dich nicht manchmal einsam, so allein unterwegs?
Klar, manchmal. Aber das gehört dazu, finde ich. Das Alleinreisen hat Vor- und Nachtteile. Natürlich ist es anstrengend, sich immer selber aufraffen zu müssen, wenn man mal einen Durchhänger hat. Doch für mich überwiegen die Vorteile: wirklich genau das tun zu können, was man gerade will, ohne Erklärungen, ohne Debatten, ohne Kompromisse. Und gelegentlich eben auch einfach: nichts zu tun. Zudem kommt man erfahrungsgemäß viel schneller mit anderen Leuten in Kontakt, aus schierer Notwendigkeit. Wenn man als Paar oder gar Familie unterwegs ist, reist man in seiner eigenen kleinen Blase und ist sich oft selbst genug. Ich glaube, ich mache allein einfach mehr Entdeckungen, weil ich ganz und gar auf die Welt um mich herum konzentriert bin. Aber natürlich finde ich es auch toll, diese Entdeckungen teilen zu können. Dafür gibt es Skype, Mails – und diesen Blog.

22,2 Kilo

Samstag, 1. Januar 2011

Mist. 2,2 Kilo Übergewicht. (Der Koffer. Ich mehr.) Ich hatte mir 20 Kilo vorgenommen, der Koffer wiegt allerdings schon leer fünf. Und weitere fünf Kilo gehen für Rechercheunterlagen drauf, für Geschichten, zu denen ich zuhause nicht mehr gekommen bin und die ich unterwegs fertig schreibe.

Wie packt man für eine Weltreise? Leicht. Ich mache schon seit Jahren nicht mehr den Fehler, zu viel mitzunehmen. Man braucht immer weniger, als man denkt. Wenn wirklich mal was fehlt, kann man es kaufen.

Und das bisschen, was man mitnimmt, kann man noch kleiner machen. So ziemlich eine der grandiosesten Erfindungen sind Vakuum-Tüten (am besten welche von Eagle Creek, ich bin ohnehin ein Fan ihrer intelligent designten Koffer). Man packt seine Klamotten hinein, schließt sie mit einem Ziplock und rollt den Beutel auf. Dadurch entweicht die Luft und die T-Shirts, Pullover etc. nehmen plötzlich nur noch die Hälfte des Platzes ein.

Ein ähnliches Prinzip verfolgt mein neues Lieblingsspielzeug, ein MacBook Air in der kleinsten Größe, mit einem 11”-Bildschirm. Der kann alles, was ich unterwegs brauche, wiegt dabei nur ein Kilo und macht sich so dünn wie eine Zeitschrift. Ein MacBook, dem sie die Luft rausgelassen haben – ich liebe es schon jetzt.

Ansonsten: ein Amazon Kindle. Ich bin kein Freund von E-Books, aber auf Reisen sind sie alternativlos. Sonst müsste ich meine 20 Kilo allein auf Bücher verwenden, Reiseführer, Reiselektüre. Bislang sind für den Kindle nur englischsprachige Bücher zu bekommen, aber gerade auf Englisch erscheinen ohnehin die viel brauchbareren und aktuelleren Reiseführer. Von den sehr viel brauchbareren Romanen mal ganz abgesehen.

Die Groundcrew

Donnerstag, 30. Dezember 2010

Bevor es richtig losgeht, möchte ich ein paar Leute vorstellen, die mich auf die Reise begleiten, ohne Hamburg zu verlassen.

Da wäre erst mal Katharina Hovman. Einige kennen sie ja schon von meinem letzten Projekt Das kleine Blaue: Katharina hat mir das Kleid entworfen, in dem ich ein Jahr lang gelebt habe. Dieses Mal hatte sie ein bisschen mehr zu tun. Der Auftrag: eine reduzierte Reisegarderobe, bei der alles miteinander kombinierbar ist und die so hart im Nehmen ist wie das kleine Blaue.

Basis ist eine weite Hose, ein Rock und eine Jacke aus derselben dunkelblauen Technofaser wie das kleine Blaue. Dazu kommen zwei langärmelige Hemden aus Technotaft, eins in Weiß, eins in Dunkelblau. Ein weiterer Rock aus petrolfarbenem Technotaft mit passender kurzärmeliger Bluse. Und ein petrolfarbenes Kleid, sozusagen die kleine leichtsinnige Schwester des kleinen Blauen.

Dazu kommen noch einige Tanktops und T-Shirts, ein Paar Jeans, zwei Tücher, eine Strickjacke und vier Paar Schuhe (Chucks, zwei Paar Ballerinas, Flip-Flops). Müsste reichen, oder?

Zweitens: Der derzeit wichtigste Mann in meinem Leben ist der fabelhafte Heinrich Voss.

Der betreibt in Hamburg-Eppendorf ein Reisebüro namens Reisefieber und wurde mir wärmstens von einem Kollegen ans Herz gelegt. Zu Recht, wie sich schnell herausstellte. Heinrich Voss ist mein Houston, meine Basisstation. Er schießt mich in die Umlaufbahn und rettet mich, wenn ich unterwegs entscheiden sollte, doch lieber den Merkur anfliegen zu wollen statt den Mond. Und selbst dann würde er immer noch eine wahnsinnig elegante und preiswerte Lösung mit einem Round-the-Universe-Ticket finden. Toller Typ!